Fort McMoney

Fort-McMoney
Dichter Qualm dringt aus den riesigen Schloten der Raffinerien, kriecht zäh über die Minen hinweg. Nicht weit davon entfernt reihen sich die Baracken der Arbeitercamps aneinander, ebenso wie die klotzartigen Wohn- und Geschäftshäuser im Stadtkern, die von starr verlaufenden Straßenzügen umrahmt werden. Mittendrin ein Wellblechverschlag, daran ein Schild mit der Aufschrift „Centre of Hope“. Die kanadische Stadt Fort McMurray wirkt auf den ersten Blick wenig einladend. Und doch kostet ein Haus dort im Schnitt 1.500.000 Dollar.

Die interaktive Dokumentation Fort McMoney gestattet einen tiefen Einblick in eine Region, die über das drittgrößte Ölsandvorkommen der Welt verfügt und deshalb Menschen und Großkonzerne magisch anzieht. Deren Einwohner mindestens 180.000 Dollar im Jahr verdienen und trotzdem auf Sozialleistungen angewiesen sind, da die Preise ebenso in die Höhe schnellen wie die Gehälter. In einer Stadt, in der selbst Pfandsammler mehrere Tausend Dollar im Monat einnehmen, stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Wert des vielen Geldes – und danach, ob bloße Profitmaximierung drastische Eingriffe in das ökologische Gleichgewicht rechtfertigt.

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Samurai Gunn

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Langsam sinkt sie hinab, die glühende Sonne, und taucht alles in ein blutiges Rot. Das kalte Metall wiegt schwer in meinen Händen. Mein Kontrahent verzieht keine Miene, auch er umklammert den Griff seines Schwertes und harrt geduldig aus. Seit Stunden schon, so scheint es. Das Zirpen der Zikaden wird beständig lauter, hallt durch meinen Kopf, gerät mehr und mehr zu einem treibenden Rhythmus. Dann, plötzlich: Ein Zucken, ein Rascheln – und mein Widersacher nur noch eine Armlänge entfernt. Noch im gleichen Augenblick ziehe ich mein Schwert, hole aus und… tränke das Feld mit dem roten Blut meines nunmehr kopflosen Gegenübers, während die Sonne und mit ihr das gleißende Licht hinter dem Horizont verschwindet.

Samurai Gunn weckt Erinnerungen an meine frühe Jugend, in der ich etwa 87,5 Prozent meiner Freizeit vor einem großen, schwarzen Röhrenfernseher vebrachte. Dessen Besitzer erkannte in meiner Begeisterung für japanische Animationsserien wohl ein gewisses Potenzial für innerfamiliäre Interessensüberschneidungen, und zückte eine VHS-Kassette: „Okami – Das Schwert der Rache“. Neben fliegenden Köpfen und meiner tobenden Mutter brauchte es nicht viel mehr, um mich von den Vorzügen der Samurai-Filme zu überzeugen, also schaute ich mit meinem Vater mehr als nur einmal dem Protagonisten dabei zu, wie er dank der Hilfe seines kleinen Sohnes und eines waffengespickten Kinderwagens im Laufe seines Rachefeldzugs so manchen Gegner kunstvoll enthauptete.

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Morphopolis

Zeitung, Staubsauger, Fliegenklatsche: Die Mittel der heimischen Insektenbekämpfung sind vielfältig. Allerorten wird Kreuchendem und Fleuchendem, Schleichendem und Schwirrendem der Krieg erklärt und der ungebetene Besuch für gewöhnlich nicht nur aus der eigenen Wohnung, sondern zugleich auch aus dem Leben befördert.

Morphopolis, ein Hidden-Object-Game des Entwicklerteams Micro Macro, erscheint demgegenüber wie ein Plädoyer für ein friedvolleres Miteinander, versetzt es mich doch in die Rolle eines Insekts und in dessen bunten Mikrokosmos. Beginnend als Blattlaus, schlüpfe ich in immer größere Körper und eröffne mir neue Perspektiven auf die mich umgebende, in grellen Farben erstrahlende Flora. Blumenstängel erscheinen wie Wolkenkratzer, Blätter als überdimensionierte Brücken, jede Szene als übersättigte Variante jenes mysteriösen Paralleluniversums, das sich zu offenbaren scheint, wenn man eine Lupe auf ein Stück Wiese richtet.

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9.03m

9.03m
Am 11.03.2011 um 14.47 Uhr Ortszeit erschüttert ein Erdbeben der Stärke 7,0 auf der JMA-Skala die Region um die japanische Stadt Fukushima, kurz darauf bricht ein Tsunami über die Küste der Präfektur Tōhoku herein. 210.000 Menschen sind von der Katastrophe unmittelbar betroffen, 20.000 von ihnen sterben, die 23.000 im havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi eingesetzten Arbeiter werden erhöhten Radioaktivitäsdosen ausgesetzt, ein Drittel von ihnen stark verstrahlt. Hunderttausende Tiere verenden.

Menschen erfassen gern Zahlen, unsere Nachrichten sind voll davon. Und doch verlieren sie umso mehr an Relevanz, je größer sie geraten, denn niemand ist mehr dazu in der Lage, Einzelschicksale zu verfolgen, wenn deren Zahl ins Unermessliche wächst. So geraten die den Nachrichtenticker dominierenden, beständig wechselnden Ziffern schnell zu etwas Irrealem, und die hinter ihnen stehenden Schicksale zu bloßen Randnotizen eines Großereignisses.

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Daymare Town 1-4

Daymare-Town-4Feine, schwarze Linien auf einfarbigem Grund und eine reduzierte Klangkulisse – mehr braucht es nicht, um eine ganze Welt zu erschaffen. Das stellt der selbsternannte Spielearchitekt Mateusz Skutnik mit seiner nunmehr vier Kapitel umfassenden Point’n’Click-Reihe Daymare Town unter Beweis. Aus Skizzen werden Szenen, und aus den Szenen erwächst eine Geschichte, so vage sie auch erscheinen mag. Wer der Protagonist ist, woher er stammt und wie er in die Stadt gelangt ist, all das bleibt ungewiss. Skutnik, der auch als Comicbuchautor arbeitet, sagte in einem Interview, dass interaktive Geschichten auf Basis nur spärlich eingeworfener Hinweise im Idealfall in den Köpfen der Spieler_innen entstehen und somit aus der für (Bilder-)Bücher typischen, narrativen Geradlinigkeit ausbrechen sollten.

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Shelter

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Langsam schleiche ich durch das Dickicht. Meine Beine schmerzen, ich bin hungrig. Hinter mir ertönt ein leises Jammern, über mir der eindringliche Ruf eines Vogels, dessen riesiger Schatten über der Erde kreist. Abrupt endet das Gehölz, vor mir tut sich eine weite Ebene auf. Der nächste, rettende Unterschlupf erscheint kilometerweit entfernt. Doch es bleibt mir keine andere Wahl, als den Sprint zu wagen, angsterfüllt in den Himmel und zugleich voller Sorge hinter mich zu blicken. Dann, plötzlich: Ein schriller Schrei. Ich bin eine Dachsmutter. Und ich habe soeben eines meiner Jungen verloren.

Im weiteren Spielverlauf sollte sich zeigen, dass diese Verlusterfahrung in Shelter, dem neuen Werk des schwedischen Entwicklerstudios Might and Delight, kein einmaliges Ereignis bleiben würde. Das sich zu Beginn präsentierende Idyll einer kleinen Dachsfamilie, die gemächlich über die Wiesen humpelt sowie hier und da Rüben aus dem Boden rupft, war nicht lange von Bestand und wurde, spätestens nach der ersten Begegnung mit einem scheinbar nimmersatten Raubvogel, durch ein konstantes Bedrohungsszenario abgelöst. Hinter jedem Busch, hinter jedem Baum schienen weitere Fressfeinde zu lauern. Zugleich blieb die Sorge, nicht genug Nahrung zu finden, um alle Sprösslinge ausreichend versorgen zu können, zumal sich die jungen Vierbeiner als wenig kollegial erwiesen, wenn es galt, ihren Hunger zu stillen.

Angesichts dessen ist vor allem eines erstaunlich: Obwohl sich Shelter visuell wie auch gameplaymechanisch als recht simpel erweist, ist es dem Spiel binnen kurzer Zeit gelungen, mich dergestalt in das Geschehen einzubinden, dass ich kontinuierlich mitfieberte. Ich fürchtete, sorgte, kümmerte mich – und war immer wieder am Boden zerstört, wenn eines der Dachsjungen anderen Tieren oder den Naturgewalten zum Opfer fiel, denn ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, für das Wohlergehen dieser Familie verantwortlich zu sein. Allein, an dieser Aufgabe scheiterte ich kläglich.

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Dhaka

A comic based on the poem “Die Schlesischen Weber” by Heinrich Heine.

Oversexed and underfucked: Nacktheit im Videospiel

JodieHolmes_Duschszene

Im Oktober des vergangenen Jahres ging ein leises Raunen durch die Spielelandschaft. Wie ein Schwelbrand verbreitete sich der Mitschnitt einer Spielszene, befeuert auch durch Sonys unbeholfen wirkende Versuche, genau diesen Prozess durch Androhung rechtlicher Schritte zu unterbinden. Doch was war eigentlich der Gegenstand des Anstoßes? Etwas Ungeheuerliches, dessen Anblick Menschen reihenweise in Verzückung oder Schockstarren versetzte, das ob seines skandalösen Naturells diskussionswürdiger kaum sein könnte:

Eine nackte Frau.

Durch die Nutzung einiger Tricks war es jemandem gelungen, die Kameras in Beyond: Two Souls zu rejustieren und so einer ursprünglich cineastisch inszenierten Duschszene die eine oder andere Ganzkörperaufnahme von Protagonistin Jodie zu entlocken. Was für Fans von Ellen Page, die der Spielfigur als reales Vorbild diente, ein besonderer Grund zur Freude gewesen dürfte, warf mit der Frage, ob durch den ungeplanten Nacktaufritt die Persönlichkeitsrechte der Schauspielerin verletzt wurden, ein ganz neues Problem auf. Der beschriebene Fall ist allerdings nicht nur wegen der ungewöhnlichen Debatte um Identität und Menschenwürde in Zeiten des Motion Capturings von Interesse. Bemerkenswert ist auch, dass überhaupt das Bedürfnis entstand, dem Spiel ungeplante Aufnahmen eines Körpers zu entlocken, der nicht einmal Ellens eigener, sondern ein bloßer Platzhalter ist.

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Diese Situationen ist nicht neu, tauchten doch mit den ersten bekannteren Heldinnen der Spielegeschichte auch zahlreiche Möglichkeiten auf, sie von der Last ihrer Kleidung zu befreien. Seither sind vor allem „Nude Patches“ ein weit verbreitetes Mittel, um den vermeintlichen Mangel erotischer Anreize in Spielen auszugleichen. Kaum ein Titel muss ohne entsprechende Modifikationen auskommen, solange die Frauenquote nur hoch genug ist, um die mit der Texturerstellung verbundene Mühe adäquat zu entlohnen. Über die Archive entsprechender Websites eröffnet sich eine völlig neue Welt, eine Welt, in der unsterbliche Soldatinnen barbusig über Schlachtfelder rennen und sich schwertschwingende Kriegerinnen furcht- und kleiderlos auf feuerspeiende Drachen stürzen.

Dass solche ungeplanten Eingriffe in die Spielwelten nicht nur absurde Situationen und Immersionseinbrüche, sondern potenziell auch weitreichende Konsequenzen mit sich bringen, zeigte sich am Beispiel des vierten Teils von Bethesdas The Elder Scrolls-Reihe: Nachdem durch einen Nude Patch offenkundig geworden war, dass das Spiel selbst durch entsprechende Modelle und Texturen das Basismaterial für nackte Brüste bereitstellte, änderte das US-amerikanische „Entertainmet Software Rating Board“ prompt dessen Alterseinstufung – und das, obwohl die Figuren in Oblivion selbst gar nicht nackt auftraten. Grund für die Empörung, den Wunsch, die zarten Teenageraugen zu schützen, war also die revolutionäre Erkenntnis, dass Menschen unter ihrer Kleidung nackt sind.

Noch größere Wellen schlug bekanntermaßen der ausgebliebene Versuch von Rockstar Games, auf Sex als alltäglichen Bestandteil der meisten Partnerschaften aufmerksam zu machen. Die nur durch viel Gefriemel überhaupt zugängliche, da bewusst tief im Programmcode verborgene „Hot Coffee Mod“ legte ein eher unfreiwillig-komisches als die Libodo stimulierendes Minispiel offen, das den Protagonisten und seine Partnerin beim holprigen Geschlechtsakt präsentierte – voll bekleidet und mit ebenso hölzernen Gesichtern wie Dialogen. Als naheliegende Konsequenz folgte die de facto-Verbannung des Spiels aus den Ladenlokalen durch die Neueinstufung als Adults Only-Material, die in den Vereinigten Staaten einer Indizierung gleichkommt. Ein Blick auf die erstaunlich kurze Liste der bisher entsprechend bewerteten Titel zeigt, dass in den seltensten Fällen Gewaltdarstellungen als ausschlaggebend angeführt werden, sondern nahezu immer „Nacktheit“ oder „Sex“ als bestimmende Faktoren auftreten. Die Toleranz für Gewalt geht so weit, dass selbst forcierter Sex eher akzeptiert wird als in allseitigem Einverständnis stattfindender, wie GTA: San Andreas veranschaulicht. Denn während der konsensuelle Geschlechtsverkehr der “Hot Coffee“-Szenen aus dem Spiel entfernt werden musste, um das Prädikat “Mature” zu erhalten und das Spiel somit wieder frei verkaufen zu können, blieb die Option, mit Prostituierten zu schlafen und daraufhin das zuvor gezahlte Geld wieder aus ihnen herauszuprügeln, erhalten.

Was bietet sich also an, um trotz des notwendigen Verzichts auf sexuelle Handlungen Erregung zu erzeugen? Vor allem eine Vielzahl deplatzierter Brüste. Auch in Gegenüberstellung zu den mal mehr, mal weniger amateurhaften Modifikationen, wirken Projekte professionellen Ursprungs nicht zwingend überzeugender. Sex und Nacktheit waren und sind selten mehr als erotische Hüllen, die der Vermarktung uninspirierter Spielmechaniken dienen sollen. In ihrer dezenteren Form haben sie längst Einzug in die gesamte Spieleindustrie gehalten: Allerorten locken vorrangig leichtbekleidete Frauen die mutmaßlich nach wie vor dominierende heterosexuelle, männliche Spielerschaft mit Reizen, die keine Sehnsüchte stillen, sondern neue erzeugen.

Dieser erotische Überfluss erfüllt niemals das ihm eigene Versprechen der Befriedrigung. Stattdessen generiert er eine Kurzzeitstimulierung, der eine erneut zu füllende Leere folgt. Dahinter steht ein kapitalistisches System, das diesen Mangel bewusst aufrechterhält, um durch die Kommerzialisierung von Sex – oder dem, was man dafür hält – Produkte vermarkten zu können, die mit Sex an sich nichts zu tun haben. Und das gilt eben auch für Unterhaltungselektronik. Paradoxerweise unterstützen ausgerechnet konservative Sittenwächter diese systematische Entfremdung von natürlicher Sexualität, indem sie durch reaktionäres In-Grund-und-Boden-Skandalisieren vergleichsweise harmloser Inhalte einen erwachsenen Umgang mit dem Thema konsequent unterbinden, aber genau hierdurch den Wunsch nach sexueller Erfüllung aufrechterhalten, der dann über Umwege gestillt werden muss.

Wie absurd dieser Prozess bisweilen anmutet, verdeutlichte die Reaktion des Senders Fox News auf die Sexszenen in Mass Effect, die als „full on digital nudity“ betitelt, in Wirklichkeit nicht mehr zeigen als nackte Rücken, Hintern und sich dezent abzeichnendes, mal hinter einem angehobenen Arm hervorblitzendes Brustfett. Das Argument der Abstumpfung durch die Konfrontation mit dem Gezeigten schoss gerade hier vollkommen am Ziel vorbei, denn zaghaft angedeuteter, einvernehmlicher Sex, der auf zuvor sorgsam aufgebauter Intimität beruht, bietet denkbar wenig Potenzial für Indifferenz. Stattdessen wohnt ihm die Authentizität des Alltäglichen inne, die Konservative wie auch Marketingstrateg_innen zu fürchten scheinen, denn Intimität ist kostenlos zu haben und, zumindest theoretisch, jederzeit verfügbar.

In einer Gesellschaft allerdings, in der schon ein freigelegter Nippel zum Politikum erklärt wird, ist scheinbar kein Platz für einen unaufgeregten Umgang mit nackter Haut, der Nährboden für Pornografie und erotisches Anschauungsmaterial hingegen umso fruchtbarer, schließlich lassen sich Triebe nicht einfach ausmerzen, und so erhalten die Kritik Übenden den Gegenstand ihrer Kritik selbst aufrecht. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass keine Sättigung eintritt, dass ein Bedarf nach immer mehr nackter Haut besteht und plötzlich auch etwas so Banales wie die tägliche Körperwäsche in ein sinnliches Showreel verwandelt wird. Auch wenn sich die Frage stellt, ob nicht gerade eine schamvoll zurückhaltende und doch eindeutig auf körperliche Inszenierung bedachte Kamerafahrt viel mehr sexuelle Spannung aufbaut, schließlich ist gerade die Verhüllung und der damit einhergehende Raum für Fantasie ein essentieller Bestandteil der Erotik.

Sicher beansprucht sie, ebenso wie die Pornografie, zurecht einen Platz nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Medien. Nichts spricht gegen sexuelle Stimuli, selbst wenn sie durch bloße Fleischbeschau generiert werden. Allein, es mangelt an Alternativen. Während sich insbesondere in der Literatur, aber auch im Film, der bildenden Kunst und der Musik eine immense Vielfalt in der Darstellung von Sexualität entwickelt hat, die der tatsächlichen in nichts außer der realen Interaktion nachsteht, verkommt der Sex im Spiel gemeinhin zum Quick Time Event und der nackte Körper zur Projektionsfläche für die eigenen, unterdrückten Gelüste.

Überschaubar ist die Zahl jener Titel, in denen Sex als besondere Form der Intimität oder sich selbst genügender Zeitvertreib dargestellt wird. Stattdessen wird ein Voyeurismus gefördert, der nicht nur bedingt durch seinen Verbleib auf der Oberfläche des künstlichen Körpers, sondern auch durch die starren Rollenbilder, die er dabei propagiert, reichlich unbefriedigend ist. Das mag auch der Schwierigkeit geschuldet sein, einem so komplexen und auf intensiven Emotionen gründenden Prozess mit begrenzten Mitteln gerecht zu werden, nur scheint es, als würden die meisten Entwickler_innen gar nicht erst versuchen, würdevoll an dieser Aufgabe zu scheitern.

Auch wenn zum Beispiel Seduce Me, von Miriam Bellard und Andrejs Skuja eigentlich als blühender Fleck im sexuellen Brachland erdacht, den eigenen Erwartungen nicht im Ansatz gerecht geworden ist, war es immerhin ein zaghafter Versuch, die Enttabuisierung und damit den Fortschritt in der spielerischen Darstellung von Sex voranzutreiben – ein Vorhaben, dem durch Steams wenig liberalen Umgang mit dem Thema ein dicker Riegel vorgeschoben wurde. So steht einer Flut von instrumentalisierter, nackter Haut ein verschämter Umgang mit dem menschlichen Körper gegenüber, dessentwegen selbst die Sims nur verpixelt in ihre Duschen steigen dürfen und durch den überhaupt erst der Gedanke geschürt wird, dass Sequenzen wie diesen irgendein erotischer Anreiz innewohnen könnte. Es stellt sich daher die Frage, ob die erzwungene Frontalsicht auf Jodie Holmes Körper in jedem Fall ein Resultat unterdrückter Sexualität oder nicht doch nur ein Versuch war, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Dass auf diesem nackten Leib das digitale Abbild von Ellen Pages Kopf prangte und damit die Würde der Schauspielerin missachtet wurde, verleiht ihm einen ebenso faden Beigeschmack wie die zu weiten Teilen pubertären Reaktionen; doch vielleicht lässt sich dieser Anlass nutzen, um das prüde Menschenbild zu hinterfragen, das als Keimzelle für diesen und andere Nude Patches dient.

Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen. [Achtung: NSFW]

E3 2013, Babes & die Spielepresse: Eine Momentaufnahme

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„Was wäre eine Videospielmesse ohne hübsche Damen in aufreizender Kleidung, die sich an den Ständen räkeln?“ (Quelle: PCGames.de)

Im Wesentlichen: eine Videospielmesse. Nichtsdestotrotz tauchen ebenso zuverlässig wie die mannigfaltigen Meinungsschnipsel zu den neuesten Hard- und Software-Veröffentlichungen anlässlich jedes größeren Messe-Events auch Bildstrecken mit mal mehr, mal weniger knapp bekleideten Damen auf, deren Bezug zum beworbenen Produkt oftmals nicht einmal mehr mit Wohlwollen und zugekniffenen Augen ersichtlich ist.

Die lokale Frauenquote und ihren Umsatz steigernd – so jedenfalls die Theorie – entsenden die Vertriebe alljährlich Heerscharen junger Frauen, um den Durchschnittsspieler anzulocken, der dem Mythos zufolge nach wie vor weiß, männlich, heterosexuell und chronisch unterfickt ist. Auch zahlreiche Vertreter prominenter Fachpublikationen schleichen gierig um den Honigtopf. Gestandene Spiele-Journalisten outen sich in ihren kulturell wertvollen Rückblicken auf die längsten Beine und die größten Titten selbst als pubertär und übereifrig auf sexuelle Stimuli reagierend – im Wesentlichen also als Opfer jener Marketing-Mechanismen, hinter deren aufreizende Fassade zu blicken ihre Aufgabe ist oder sein sollte. Stattdessen werden in den Bildfolgen, deren Inhalte sich, ebenso wie die sekundären Geschlechtsmerkmale der Messe-Hostessen, nur selten voneinander unterscheiden, stets auch die eben dort wohlplatzierten Logos neuer Titel und altbekannter Firmen eingebunden.

Dass angesichts der immer häufiger diskutierten Frage nach Sexismus in Spielen noch immer Bild- und Videomaterial mit Titeln beworben wird, die nie spürbar vom journalistischen Klassiker „Die heißesten Messe-Babes“ abweichen, ist nicht nachvollziehbar. Während an der einen Stelle Spieler_innen wie Entwickler_innen darum bemüht sind, stereotype Darstellungsformen endlich zu überwinden und Frauen – sei es in Virtualität oder Realität – einen festen Platz einzuräumen, der nicht bloß der Zuschaustellung weiblicher (bzw. der Attraktion männlicher) Sexualität dient, wird Weiblichkeit zugleich mit unveränderter Beharrlichkeit als plumpes Marketing-Material instrumentalisiert und dieses Vorgehen beunruhigend selten hinterfragt.

Während die Tatsache, dass in der internationalen Fachpresse der Anteil entsprechender Artikel im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist, eben diesem intensiven Diskurs geschuldet sein könnte, ist der Blick auf die deutsche Medienlandschaft ernüchternder: Zwar hat die Prominenz von Galerien, die sich auf die Zurschaustellung nackter Haut konzentrieren, merklich abgenommen – etwa im Falle von GamersGlobal und GameOne, die auf die Einbindung entsprechender Inhalte verzichtet haben – doch grade bei denjenigen, die sonst nicht müde werden, die institutionalisierte Kompetenz ihrer Redaktionen vehement zu verteidigen, hat sich nur wenig geändert. Was in themenbezogenen Publikationen des Springer-Verlags nicht überraschen mag, wird hier erstaunlicherweise nicht nur quantitativ über-, sondern im Niveau deutlich unterboten.

Unsere Redakteure waren sich nicht zu schade, die Kamera voll draufzuhalten und die netten Damen aus jedem möglichen Winkel abzufilmen, bevor sie von den Sicherheitskräften der Veranstalter in einem Hinterzimmer eingeschüchtert und anschließend der Messe verwiesen wurden.“ (Quelle: PCGames.de)

Wenn sexuelle Belästigung als humorvolle Anekdote präsentiert wird, verabschiedet sich nicht nur der journalistische Anspruch, sondern auch das Moralempfinden. Wenn den Messe-Hostessen keinerlei Privatsphäre zugestanden und das beharrliche Eingreifen der Sicherheitsdienste bei deren offensichtlicher Übertretung als spaßbremsende Maßnahme deklariert wird, erscheint die Grenze von Fleischbeschau zum Stalkertum fließend. Dass Bildergalerien unverhohlen als „Lustgrotten“ präsentiert werden, steigert das generelle Unbehagen ins Unermessliche.

So verkommen Internetseiten über Video- und Computerspiele saisonweise zu Plattformen, auf denen sowohl Sexismus als auch dem längst totgeglaubten Klischee nerdiger, notgeiler Spieler ein fester Platz eingeräumt wird. Auf diese Weise schieben die Redaktionen nicht nur weibliche Interessenten ins Abseits, sondern bestärken effektiv gegenüber ihrer Leserschaft präsente Vorurteile – Vorurteile, die sie in anderen Diskursen aufs heftigste verneinen.

Obwohl dieser Trend insgesamt rückläufig ist, demonstrieren ausgerechnet die auflagenstärksten unter den deutschsprachigen Magazinen eine deutliche Tendenz zur konservativ-sexistischen Degradierung von Frauen zu dekorativen Elementen, die angesichts gleichzeitiger Bemühungen, in der Sexismus-Debatte mitzuwirken, schizophren erscheint. Abermals wird deutlich, dass die lokalen Fachpublikationen der internationalen Konkurrenz weder visuell noch inhaltlich standhalten können, und sich dieser Tatsache entweder nicht bewusst, oder resignierend dazu übergangen sind, im Stillstand zu verharren, anstatt die beständige Weiterentwicklung des Mediums „Spiel“ in sich zu reflektieren.

Es ist an der Zeit, endgültig Abstand von dem Gedanken zu nehmen, dass etwas, „was seit Urzeiten dazugehört“, bestehen bleiben muss. Würden wir diesem Prinzip konsequent folgen, gäbe es keinerlei Fortschritt: Weder sozialen noch technischen. Und das kann nicht ernsthaft in unser aller Interesse sein. Der Wunsch nach Veränderung zeigt sich immer häufiger auch in der Spiele-Branche und in den damit verknüpften Medien. Die Messe-Betreiber der PAX und der Eurogamer-Expo haben sich explizit dagegen entschieden, den Einsatz der „Booth Babes“ zu gestatten und damit ein Zeichen gesetzt: Für eine Rückbesinnung auf die zu bewerbenden Spiele-Inhalte und gegen Sexismus. Nun gilt es, diesen Umbruch voranzutreiben und der irrigen Annahme, dass nur die Nachfrage entsprechende Angebote generiere, etwas entgegenzusetzen.

Das Medium entwickelt sich weiter, wird erwachsen. Es ist daher an der Zeit, die jugendlichen Altlasten abzulegen, auf dass der künstlich erhaltene Bruch zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit endlich überwunden und der Fokus wieder auf etwas gelegt werden kann, was gute Spiele auch ohne die plumpe Instrumentalisierung von Sexualität generieren sollten: Freude am Spiel.

Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen.

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