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Dhaka
A comic based on the poem “Die Schlesischen Weber” by Heinrich Heine.
Oversexed and underfucked: Nacktheit im Videospiel
Im Oktober des vergangenen Jahres ging ein leises Raunen durch die Spielelandschaft. Wie ein Schwelbrand verbreitete sich der Mitschnitt einer Spielszene, befeuert auch durch Sonys unbeholfen wirkende Versuche, genau diesen Prozess durch Androhung rechtlicher Schritte zu unterbinden. Doch was war eigentlich der Gegenstand des Anstoßes? Etwas Ungeheuerliches, dessen Anblick Menschen reihenweise in Verzückung oder Schockstarren versetzte, das ob seines skandalösen Naturells diskussionswürdiger kaum sein könnte:
Eine nackte Frau.
Durch die Nutzung einiger Tricks war es jemandem gelungen, die Kameras in Beyond: Two Souls zu rejustieren und so einer ursprünglich cineastisch inszenierten Duschszene die eine oder andere Ganzkörperaufnahme von Protagonistin Jodie zu entlocken. Was für Fans von Ellen Page, die der Spielfigur als reales Vorbild diente, ein besonderer Grund zur Freude gewesen dürfte, warf mit der Frage, ob durch den ungeplanten Nacktaufritt die Persönlichkeitsrechte der Schauspielerin verletzt wurden, ein ganz neues Problem auf. Der beschriebene Fall ist allerdings nicht nur wegen der ungewöhnlichen Debatte um Identität und Menschenwürde in Zeiten des Motion Capturings von Interesse. Bemerkenswert ist auch, dass überhaupt das Bedürfnis entstand, dem Spiel ungeplante Aufnahmen eines Körpers zu entlocken, der nicht einmal Ellens eigener, sondern ein bloßer Platzhalter ist.
Diese Situationen ist nicht neu, tauchten doch mit den ersten bekannteren Heldinnen der Spielegeschichte auch zahlreiche Möglichkeiten auf, sie von der Last ihrer Kleidung zu befreien. Seither sind vor allem „Nude Patches“ ein weit verbreitetes Mittel, um den vermeintlichen Mangel erotischer Anreize in Spielen auszugleichen. Kaum ein Titel muss ohne entsprechende Modifikationen auskommen, solange die Frauenquote nur hoch genug ist, um die mit der Texturerstellung verbundene Mühe adäquat zu entlohnen. Über die Archive entsprechender Websites eröffnet sich eine völlig neue Welt, eine Welt, in der unsterbliche Soldatinnen barbusig über Schlachtfelder rennen und sich schwertschwingende Kriegerinnen furcht- und kleiderlos auf feuerspeiende Drachen stürzen.
Dass solche ungeplanten Eingriffe in die Spielwelten nicht nur absurde Situationen und Immersionseinbrüche, sondern potenziell auch weitreichende Konsequenzen mit sich bringen, zeigte sich am Beispiel des vierten Teils von Bethesdas The Elder Scrolls-Reihe: Nachdem durch einen Nude Patch offenkundig geworden war, dass das Spiel selbst durch entsprechende Modelle und Texturen das Basismaterial für nackte Brüste bereitstellte, änderte das US-amerikanische „Entertainmet Software Rating Board“ prompt dessen Alterseinstufung – und das, obwohl die Figuren in Oblivion selbst gar nicht nackt auftraten. Grund für die Empörung, den Wunsch, die zarten Teenageraugen zu schützen, war also die revolutionäre Erkenntnis, dass Menschen unter ihrer Kleidung nackt sind.
Noch größere Wellen schlug bekanntermaßen der ausgebliebene Versuch von Rockstar Games, auf Sex als alltäglichen Bestandteil der meisten Partnerschaften aufmerksam zu machen. Die nur durch viel Gefriemel überhaupt zugängliche, da bewusst tief im Programmcode verborgene „Hot Coffee Mod“ legte ein eher unfreiwillig-komisches als die Libodo stimulierendes Minispiel offen, das den Protagonisten und seine Partnerin beim holprigen Geschlechtsakt präsentierte – voll bekleidet und mit ebenso hölzernen Gesichtern wie Dialogen. Als naheliegende Konsequenz folgte die de facto-Verbannung des Spiels aus den Ladenlokalen durch die Neueinstufung als Adults Only-Material, die in den Vereinigten Staaten einer Indizierung gleichkommt. Ein Blick auf die erstaunlich kurze Liste der bisher entsprechend bewerteten Titel zeigt, dass in den seltensten Fällen Gewaltdarstellungen als ausschlaggebend angeführt werden, sondern nahezu immer „Nacktheit“ oder „Sex“ als bestimmende Faktoren auftreten. Die Toleranz für Gewalt geht so weit, dass selbst forcierter Sex eher akzeptiert wird als in allseitigem Einverständnis stattfindender, wie GTA: San Andreas veranschaulicht. Denn während der konsensuelle Geschlechtsverkehr der “Hot Coffee“-Szenen aus dem Spiel entfernt werden musste, um das Prädikat “Mature” zu erhalten und das Spiel somit wieder frei verkaufen zu können, blieb die Option, mit Prostituierten zu schlafen und daraufhin das zuvor gezahlte Geld wieder aus ihnen herauszuprügeln, erhalten.
Was bietet sich also an, um trotz des notwendigen Verzichts auf sexuelle Handlungen Erregung zu erzeugen? Vor allem eine Vielzahl deplatzierter Brüste. Auch in Gegenüberstellung zu den mal mehr, mal weniger amateurhaften Modifikationen, wirken Projekte professionellen Ursprungs nicht zwingend überzeugender. Sex und Nacktheit waren und sind selten mehr als erotische Hüllen, die der Vermarktung uninspirierter Spielmechaniken dienen sollen. In ihrer dezenteren Form haben sie längst Einzug in die gesamte Spieleindustrie gehalten: Allerorten locken vorrangig leichtbekleidete Frauen die mutmaßlich nach wie vor dominierende heterosexuelle, männliche Spielerschaft mit Reizen, die keine Sehnsüchte stillen, sondern neue erzeugen.
Dieser erotische Überfluss erfüllt niemals das ihm eigene Versprechen der Befriedrigung. Stattdessen generiert er eine Kurzzeitstimulierung, der eine erneut zu füllende Leere folgt. Dahinter steht ein kapitalistisches System, das diesen Mangel bewusst aufrechterhält, um durch die Kommerzialisierung von Sex – oder dem, was man dafür hält – Produkte vermarkten zu können, die mit Sex an sich nichts zu tun haben. Und das gilt eben auch für Unterhaltungselektronik. Paradoxerweise unterstützen ausgerechnet konservative Sittenwächter diese systematische Entfremdung von natürlicher Sexualität, indem sie durch reaktionäres In-Grund-und-Boden-Skandalisieren vergleichsweise harmloser Inhalte einen erwachsenen Umgang mit dem Thema konsequent unterbinden, aber genau hierdurch den Wunsch nach sexueller Erfüllung aufrechterhalten, der dann über Umwege gestillt werden muss.
Wie absurd dieser Prozess bisweilen anmutet, verdeutlichte die Reaktion des Senders Fox News auf die Sexszenen in Mass Effect, die als „full on digital nudity“ betitelt, in Wirklichkeit nicht mehr zeigen als nackte Rücken, Hintern und sich dezent abzeichnendes, mal hinter einem angehobenen Arm hervorblitzendes Brustfett. Das Argument der Abstumpfung durch die Konfrontation mit dem Gezeigten schoss gerade hier vollkommen am Ziel vorbei, denn zaghaft angedeuteter, einvernehmlicher Sex, der auf zuvor sorgsam aufgebauter Intimität beruht, bietet denkbar wenig Potenzial für Indifferenz. Stattdessen wohnt ihm die Authentizität des Alltäglichen inne, die Konservative wie auch Marketingstrateg_innen zu fürchten scheinen, denn Intimität ist kostenlos zu haben und, zumindest theoretisch, jederzeit verfügbar.
In einer Gesellschaft allerdings, in der schon ein freigelegter Nippel zum Politikum erklärt wird, ist scheinbar kein Platz für einen unaufgeregten Umgang mit nackter Haut, der Nährboden für Pornografie und erotisches Anschauungsmaterial hingegen umso fruchtbarer, schließlich lassen sich Triebe nicht einfach ausmerzen, und so erhalten die Kritik Übenden den Gegenstand ihrer Kritik selbst aufrecht. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass keine Sättigung eintritt, dass ein Bedarf nach immer mehr nackter Haut besteht und plötzlich auch etwas so Banales wie die tägliche Körperwäsche in ein sinnliches Showreel verwandelt wird. Auch wenn sich die Frage stellt, ob nicht gerade eine schamvoll zurückhaltende und doch eindeutig auf körperliche Inszenierung bedachte Kamerafahrt viel mehr sexuelle Spannung aufbaut, schließlich ist gerade die Verhüllung und der damit einhergehende Raum für Fantasie ein essentieller Bestandteil der Erotik.
Sicher beansprucht sie, ebenso wie die Pornografie, zurecht einen Platz nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Medien. Nichts spricht gegen sexuelle Stimuli, selbst wenn sie durch bloße Fleischbeschau generiert werden. Allein, es mangelt an Alternativen. Während sich insbesondere in der Literatur, aber auch im Film, der bildenden Kunst und der Musik eine immense Vielfalt in der Darstellung von Sexualität entwickelt hat, die der tatsächlichen in nichts außer der realen Interaktion nachsteht, verkommt der Sex im Spiel gemeinhin zum Quick Time Event und der nackte Körper zur Projektionsfläche für die eigenen, unterdrückten Gelüste.
Überschaubar ist die Zahl jener Titel, in denen Sex als besondere Form der Intimität oder sich selbst genügender Zeitvertreib dargestellt wird. Stattdessen wird ein Voyeurismus gefördert, der nicht nur bedingt durch seinen Verbleib auf der Oberfläche des künstlichen Körpers, sondern auch durch die starren Rollenbilder, die er dabei propagiert, reichlich unbefriedigend ist. Das mag auch der Schwierigkeit geschuldet sein, einem so komplexen und auf intensiven Emotionen gründenden Prozess mit begrenzten Mitteln gerecht zu werden, nur scheint es, als würden die meisten Entwickler_innen gar nicht erst versuchen, würdevoll an dieser Aufgabe zu scheitern.
Auch wenn zum Beispiel Seduce Me, von Miriam Bellard und Andrejs Skuja eigentlich als blühender Fleck im sexuellen Brachland erdacht, den eigenen Erwartungen nicht im Ansatz gerecht geworden ist, war es immerhin ein zaghafter Versuch, die Enttabuisierung und damit den Fortschritt in der spielerischen Darstellung von Sex voranzutreiben – ein Vorhaben, dem durch Steams wenig liberalen Umgang mit dem Thema ein dicker Riegel vorgeschoben wurde. So steht einer Flut von instrumentalisierter, nackter Haut ein verschämter Umgang mit dem menschlichen Körper gegenüber, dessentwegen selbst die Sims nur verpixelt in ihre Duschen steigen dürfen und durch den überhaupt erst der Gedanke geschürt wird, dass Sequenzen wie diesen irgendein erotischer Anreiz innewohnen könnte. Es stellt sich daher die Frage, ob die erzwungene Frontalsicht auf Jodie Holmes Körper in jedem Fall ein Resultat unterdrückter Sexualität oder nicht doch nur ein Versuch war, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Dass auf diesem nackten Leib das digitale Abbild von Ellen Pages Kopf prangte und damit die Würde der Schauspielerin missachtet wurde, verleiht ihm einen ebenso faden Beigeschmack wie die zu weiten Teilen pubertären Reaktionen; doch vielleicht lässt sich dieser Anlass nutzen, um das prüde Menschenbild zu hinterfragen, das als Keimzelle für diesen und andere Nude Patches dient.
Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen. [Achtung: NSFW]
E3 2013, Babes & die Spielepresse: Eine Momentaufnahme
„Was wäre eine Videospielmesse ohne hübsche Damen in aufreizender Kleidung, die sich an den Ständen räkeln?“ (Quelle: PCGames.de)
Im Wesentlichen: eine Videospielmesse. Nichtsdestotrotz tauchen ebenso zuverlässig wie die mannigfaltigen Meinungsschnipsel zu den neuesten Hard- und Software-Veröffentlichungen anlässlich jedes größeren Messe-Events auch Bildstrecken mit mal mehr, mal weniger knapp bekleideten Damen auf, deren Bezug zum beworbenen Produkt oftmals nicht einmal mehr mit Wohlwollen und zugekniffenen Augen ersichtlich ist.
Die lokale Frauenquote und ihren Umsatz steigernd – so jedenfalls die Theorie – entsenden die Vertriebe alljährlich Heerscharen junger Frauen, um den Durchschnittsspieler anzulocken, der dem Mythos zufolge nach wie vor weiß, männlich, heterosexuell und chronisch unterfickt ist. Auch zahlreiche Vertreter prominenter Fachpublikationen schleichen gierig um den Honigtopf. Gestandene Spiele-Journalisten outen sich in ihren kulturell wertvollen Rückblicken auf die längsten Beine und die größten Titten selbst als pubertär und übereifrig auf sexuelle Stimuli reagierend – im Wesentlichen also als Opfer jener Marketing-Mechanismen, hinter deren aufreizende Fassade zu blicken ihre Aufgabe ist oder sein sollte. Stattdessen werden in den Bildfolgen, deren Inhalte sich, ebenso wie die sekundären Geschlechtsmerkmale der Messe-Hostessen, nur selten voneinander unterscheiden, stets auch die eben dort wohlplatzierten Logos neuer Titel und altbekannter Firmen eingebunden.
Dass angesichts der immer häufiger diskutierten Frage nach Sexismus in Spielen noch immer Bild- und Videomaterial mit Titeln beworben wird, die nie spürbar vom journalistischen Klassiker „Die heißesten Messe-Babes“ abweichen, ist nicht nachvollziehbar. Während an der einen Stelle Spieler_innen wie Entwickler_innen darum bemüht sind, stereotype Darstellungsformen endlich zu überwinden und Frauen – sei es in Virtualität oder Realität – einen festen Platz einzuräumen, der nicht bloß der Zuschaustellung weiblicher (bzw. der Attraktion männlicher) Sexualität dient, wird Weiblichkeit zugleich mit unveränderter Beharrlichkeit als plumpes Marketing-Material instrumentalisiert und dieses Vorgehen beunruhigend selten hinterfragt.
Während die Tatsache, dass in der internationalen Fachpresse der Anteil entsprechender Artikel im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist, eben diesem intensiven Diskurs geschuldet sein könnte, ist der Blick auf die deutsche Medienlandschaft ernüchternder: Zwar hat die Prominenz von Galerien, die sich auf die Zurschaustellung nackter Haut konzentrieren, merklich abgenommen – etwa im Falle von GamersGlobal und GameOne, die auf die Einbindung entsprechender Inhalte verzichtet haben – doch grade bei denjenigen, die sonst nicht müde werden, die institutionalisierte Kompetenz ihrer Redaktionen vehement zu verteidigen, hat sich nur wenig geändert. Was in themenbezogenen Publikationen des Springer-Verlags nicht überraschen mag, wird hier erstaunlicherweise nicht nur quantitativ über-, sondern im Niveau deutlich unterboten.
Unsere Redakteure waren sich nicht zu schade, die Kamera voll draufzuhalten und die netten Damen aus jedem möglichen Winkel abzufilmen, bevor sie von den Sicherheitskräften der Veranstalter in einem Hinterzimmer eingeschüchtert und anschließend der Messe verwiesen wurden.“ (Quelle: PCGames.de)
Wenn sexuelle Belästigung als humorvolle Anekdote präsentiert wird, verabschiedet sich nicht nur der journalistische Anspruch, sondern auch das Moralempfinden. Wenn den Messe-Hostessen keinerlei Privatsphäre zugestanden und das beharrliche Eingreifen der Sicherheitsdienste bei deren offensichtlicher Übertretung als spaßbremsende Maßnahme deklariert wird, erscheint die Grenze von Fleischbeschau zum Stalkertum fließend. Dass Bildergalerien unverhohlen als „Lustgrotten“ präsentiert werden, steigert das generelle Unbehagen ins Unermessliche.
So verkommen Internetseiten über Video- und Computerspiele saisonweise zu Plattformen, auf denen sowohl Sexismus als auch dem längst totgeglaubten Klischee nerdiger, notgeiler Spieler ein fester Platz eingeräumt wird. Auf diese Weise schieben die Redaktionen nicht nur weibliche Interessenten ins Abseits, sondern bestärken effektiv gegenüber ihrer Leserschaft präsente Vorurteile – Vorurteile, die sie in anderen Diskursen aufs heftigste verneinen.
Obwohl dieser Trend insgesamt rückläufig ist, demonstrieren ausgerechnet die auflagenstärksten unter den deutschsprachigen Magazinen eine deutliche Tendenz zur konservativ-sexistischen Degradierung von Frauen zu dekorativen Elementen, die angesichts gleichzeitiger Bemühungen, in der Sexismus-Debatte mitzuwirken, schizophren erscheint. Abermals wird deutlich, dass die lokalen Fachpublikationen der internationalen Konkurrenz weder visuell noch inhaltlich standhalten können, und sich dieser Tatsache entweder nicht bewusst, oder resignierend dazu übergangen sind, im Stillstand zu verharren, anstatt die beständige Weiterentwicklung des Mediums „Spiel“ in sich zu reflektieren.
Es ist an der Zeit, endgültig Abstand von dem Gedanken zu nehmen, dass etwas, „was seit Urzeiten dazugehört“, bestehen bleiben muss. Würden wir diesem Prinzip konsequent folgen, gäbe es keinerlei Fortschritt: Weder sozialen noch technischen. Und das kann nicht ernsthaft in unser aller Interesse sein. Der Wunsch nach Veränderung zeigt sich immer häufiger auch in der Spiele-Branche und in den damit verknüpften Medien. Die Messe-Betreiber der PAX und der Eurogamer-Expo haben sich explizit dagegen entschieden, den Einsatz der „Booth Babes“ zu gestatten und damit ein Zeichen gesetzt: Für eine Rückbesinnung auf die zu bewerbenden Spiele-Inhalte und gegen Sexismus. Nun gilt es, diesen Umbruch voranzutreiben und der irrigen Annahme, dass nur die Nachfrage entsprechende Angebote generiere, etwas entgegenzusetzen.
Das Medium entwickelt sich weiter, wird erwachsen. Es ist daher an der Zeit, die jugendlichen Altlasten abzulegen, auf dass der künstlich erhaltene Bruch zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit endlich überwunden und der Fokus wieder auf etwas gelegt werden kann, was gute Spiele auch ohne die plumpe Instrumentalisierung von Sexualität generieren sollten: Freude am Spiel.
Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen.
Party On
Leseprobe
Index
1. Einleitung ………………………………………………………………………………….. S. 9
2. Vorgehensweise und Methodenwahl ……………………………………… S. 11
2.1 Geschlecht ………………………………………………………………………………. S. 15
3. Die Geschichte der Videospiele ……………………………………….……… S. 25
4. Kurzanalysen ……………………………………………………………………………. S. 31
4.1 Pong …………………………………………………………………………………………. S. 33
4.2 Space Invaders ……………………………………………………………………….. S. 34
4.3 PacMan ……………………………………………………………………………………. S. 34
4.4 MsPacMan ………………………………………………………………………………. S. 36
4.5 Donkey Kong ………………………………………………………………………….. S. 38
4.6 Metroid …………………………………………………………………………………… S. 40
4.7 Mass Effect ……………………………………………………………………………… S. 47
4.8 Mirror’s Edge ………………………………………………………………………….. S. 48
4.9 Fable ………………………………………………………………………………………… S. 49
4.10 God of War ……………………………………………………………………………. S. 52
4.11 Devil May Cry ……………………………………………………………………….. S. 56
4.12 Bioshock Infinite ………………………………………………………………….. S. 58
5. Tiefenanalysen …………………………………………………………………………. S. 65
5.1 The Legend of Zelda ……………………………………………………………….. S. 66
5.1.1 The Legend of Zelda……………………………………………………………… S. 67
5.1.2 Zelda II: The Adventure of Link ………………………………………….. S. 68
5.1.3 Link’s Awakening …………………………………………………………………. S. 69
5.1.4 The Wand of Gamelon/Zelda‘s Adventure ………………………….. S. 70
5.1.6 Ocarina of Time …………………………………………………………………….. S. 71
5.1.7 The Wind Waker …………………………………………………………………… S. 74
5.1.8 Twilight Princess …………………………………………………………………… S. 78
5.1.9 Skyward Sword …………………………………………………………………….. S. 80
5.1.10 Fazit ……………………………………………………………………………………… S. 82
5.2 Tomb Raider …………………………………………………………………………….. S. 84
6. Fazit …………………………………………………………………………………………….. S. 99
7. Sex in Spielen ……………………………………………………………………………… S. 109
8. Interviews …………………………………………………………………………………… S. 123
8.1 Lea Schönfelder ……………………………………………………………………….. S.124
8.2 Anjin Anhut …………………………………………………………………………….. S. 134
8.3 Joe Köller ………………………………………………………………………………….. S. 146
8.4 Sebastian Kalitzki …………………………………………………………………….. S. 158
8.5 Helga Hansen ……………………………………………………………………………. S. 166
8.6 Anna Rotenberg ……………………………………………………………………….. S. 174
9. Statistiken……………………………………………………………………………………. S. 185
10. Glossar ………………………………………………………………………………………. S. 197
11. Quellen ………………………………………………………………………………………. S. 211
Die Geschichte der Videospiele
Im Vergleich zu jedem anderen bekannten Medium, durchlebten Video- und Computerspiele einen rasanten Fortschritt. Während der Film etwa eine mehr als 140 Jahre umfassende Entwicklungsgeschichte mit sich brachte, vergingen lediglich 55 Jahre von den Anfängen elektronischer Spiele als bloße Visualisierungen elektrischer Spannungen bis zur gegenwärtigen, nahezu fotorealistischen Darstellung riesiger Welten, deren Durchquerung allein oft mehrere Stunden beansprucht. Nachdem bereits in den frühen 1950er Jahren einfachste Spiele wie „OXO“ (heute weithin bekannt als „Tic Tac Toe“) (20) durch Leuchtmittel sogenannter Röhrenrechner dargestellt werden konnten (21), galt das 1958 durch den amerikanischen Physiker William Higinbotham vorgestellte „Tennis for Two“ als großer Durchbruch in der Geschichte der elektronischen Spiele. Mit nur einem Analogcomputer und einem Oszilloskop, das eine durch zwei Eingabemöglichkeiten veränderbare, elektrische Spannung darstellte (22), legte der Wissenschaftler den Grundstein für eines der populärsten und bis heute bekanntesten Spiele aller Zeiten: „Pong“. Da jedoch bis in die 1970er Jahre Computertechnologie dem wissenschaftlichem Gebrauch vorbehalten und selbst noch Gegenstand der Forschung war, wurden Videospiele erst durch die Vorstellung von Ralph H. Bears „Brown Box“ im Jahre 1968 und die nunmehr entwickelten, elektronischen Spielautomaten gesellschaftsfähig. Die „Brown Box“, selbst nur ein Prototyp, wurde schließlich zur ersten Videospielkonsole weiterentwickelt: der 1972 veröffentlichten Magnavox Odyssey. (23) Da die technischen Einschränkungen des Geräts nicht mehr als die Darstellung weißer Pixel auf schwarzem Grund zuließen, wurde jedem Spiel eine individuell angepasste Plastikfolie mitgeliefert, über die das Spielfeld definiert wurde. Diese ließ sich für gewöhnlich durch zusätzliche Komponenten ergänzen, die denen von Gesellschaftsspielen nicht unähnlich waren: Durch Spielsteine und –bretter, Karten, Notizzettel und sogar Papiergeld wurde das an sich stark vereinfachte und viel Fantasie erfordernde Spielgeschehen auf dem Bildschirm interessanter und greifbarer. (24) Die Spiele dienten als Freizeitbeschäftigung für die ganze Familie und wurden mit hierzu passenden Fotos gemeinsam vor dem Fernseher sitzender Familienmitglieder beworben. Obwohl bereits im Laufe dieses Jahrzehnts weitere Firmen wie etwa Atari und der Spielzeughersteller Mattel eigene Heimkonsolen vorstellten und eine zu Hause spielbare Version des Spielhallenerfolgs „Space Invaders“ deren Popularität bedeutend steigerte, konnten Videospiele als Massenmedium erst nach dem Einbruch des Marktes im Jahre 1983 international Fuß fassen. Dieser „Video Game Crash“ brachte einen deutlichen Einschnitt in die immer umfangreichere und, daraus resultierend, auch unübersichtlicher werdende Auswahl von Soft- und Hardware, die durch erschwingliche Heimcomputer erweitert wurde. Zahlreiche Firmen gaben daraufhin den Kampf um die Gunst der Konsumenten auf. (25) Unterdessen stellte in Japan der Spielkarten-Produzent Nintendo seine ersten Konsolen und, mit der „Game & Watch“-Serie, sogar tragbare Geräte vor (26), die reißenden Absatz fanden. Nachdem sich die Firma zunächst auf den japanischen Markt konzentrierte, beschloss sie schließlich, den Sprung nach Amerika zu wagen – mit dem Nintendo Entertainment System (NES), ursprünglich bekannt als Famicom. Damit begründete Nintendo seine Erfolgsgeschichte auf dem Spiele-Markt, die bis weit in die 1990er Jahre andauern sollte. Allerdings ließ die Konkurrenz nicht lange auf sich warten: So unter anderem Sega, eine ebenfalls in Japan operierende Firma, die zunächst Spielhallen mit Automaten und Spielen belieferte und später Geräte für den heimischen Gebrauch entwickelte. Obgleich Sega zunächst chancenlos zu sein schien, da das NES sich in den USA großer Beliebtheit erfreute, wuchs die Firma mit der Zeit zu einer immer ernstzunehmenderen Konkurrenz heran und nahm mit dem Ende der 1980er Jahre veröffentlichten Sega Genesis/Sega Mega Drive den Sprung in eine neue Ära besserer Grafik und komplexerer Spiele vorweg, auf den Nintendo bald darauf durch die Vorstellung seines Super Nintendo Entertainment Systems (SNES) reagierte. Videospiele richteten sich nun überwiegend an Kinder und Jugendliche, vor allem jene männlichen Geschlechts. Die Nutzung der heimischen Konsolen entwickelte sich vom Familienereignis zum Individual- oder Kleingruppenerlebnis unter Freunden. Einhergehend damit und auch den aggressiven Werbemaßnahmen, die sich immer häufiger exklusiv an Jungen und junge Männer richteten, wurden Mädchen als potenzielle Konsumentinnen allmählich vernachlässigt.
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Gender und Sex
Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher geschlechtertheoretischer Ansätze, soll in diesem Kapitel kurz angerissen und erläutert werden, welche Denkansätze und Begrifflichkeiten dieser Forschungsarbeit zugrunde liegen. Zunächst aber folgt ein kurzer Verweis auf die geschichtliche Entwicklung des „Geschlechts“: Dem amerikanischen Kultur- und Wissenschaftshistoriker Thomas Laqueur zufolge, war bis ins 18. Jahrhundert hinein ein Wissenschaftsmodell geläufig, das er selbst als „Ein-Geschlecht-Modell“ bezeichnete. (1) Demzufolge sah man die Geschlechtsorgane nicht als grundsätzlich verschieden an, sondern betrachtete sie analog zueinander: So etwa die Vagina als nach innen gestülpten Penis und den Hoden des Mannes als Equivalent zu den weiblichen Eierstöcken. Erst in der Epoche der Aufklärung, mit der Etablierung einer auf Unterscheidungen basierenden Weltsicht und Wissensgewinnung, zeichnete sich ein Wandel hin zur gegenwärtig immer häufiger hinterfragten, eindeutig definierten Geschlechterordnung ab. Anders als bisher der Fall, basierten gängige Verhaltensmuster nun nicht mehr vorrangig auf dem Stand, also der sozialen Stellung einer Person, sondern auch auf ihrer geschlechtlichen Zuordnung. (2) Mit der Wahrnehmung des „selbstbewussten Subjekts“ wurde fortan eine als natürlich wahrgenommene, geschlechtliche Identität verknüpft. (3) Wie auch im Falle der sozialen Stellung, wurde dabei jedoch eine Hierarchisierung etabliert, ein Machtgefälle, in dem Männlichkeit mit Stärke assoziiert wurde. Diese Entwicklung gipfelte im sogenannten „Androzentrismus“, der Mensch und Mann gleichsetzte und somit Männlichkeit als Norm, Weiblichkeit hingegen als in Abgrenzung davon bestehende Sonderform definierte – und sich auf die gesellschaftliche Verortung der Geschlechter auswirkte, denn während Männer vorrangig aktive, öffentliche Positionen bekleideten, verblieben Frauen im Privaten, in der Passitivät, und waren dem anderen Geschlecht untergeordnet. Mit der Zeit jedoch wurde diese Geschlechterordnung zunehmend in Frage gestellt und etwa im Rahmen der Frauenforschung, aber auch in zahlreichen anderen geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichem Disziplinen diskutiert und neu definiert. Bereits in den 60er Jahren wurde zunächst von amerikanischen Psychoanalytikern (4) und später auch im gesamten angelsächsischen Sprachraum eine sprachliche Trennung zwischen „biologischem“ (Sex) und „sozialem“ (Gender) Geschlecht etabliert. Der ursprünglich der Grammatik entstammende Begriff „Gender“ (dt. Genus = das grammatische Geschlecht von Substantiven, also: Femininum, Maskulinum, Neutrum) (5) beschrieb und beschreibt auch heute noch die soziale und kulturelle (Aus-)Prägung von Geschlecht. Während das biologische Geschlecht ausschließlich Bezug nimmt auf die Anatomie eines Menschen und dessen angeborene, körperliche Geschlechtlichkeit, beschreibt das soziale Geschlecht eine nicht biologisch determinierte, sondern durch das kulturelle und soziale Umfeld eines Menschen erfolgende Prägung. Dementsprechend unterliegt das soziale Geschlecht in seiner Ausformung immer den individuellen, normativen Werten einer Gesellschaft (6) und hängt nicht kausal mit dem „Sexus“ zusammen, der über Vagina und Brüste (Frau) sowie Penis und Skrotum (Mann) festgestellt und festgelegt wird.
„Die Kategorie gender hält bewusst, dass die Existenz von Geschlechterdifferenzen nur zum geringsten Teil auf biologischen (also ‚natürlichen‘) Gegebenheiten beruht, vielmehr im Wesentlichen konstituiert wird durch kulturelle Zuschreibungsmuster, wie sie etwa mit dem Begriff der Geschlechtscharaktere beschrieben sind […], und subjektiv angeeignet werden über eine geschlechtsspezifische Sozialisation (Geschlechterrolle, Geschlechtsidentität).“ (7)
[…]
The Legend of Zelda
Action-Adventure-Genres, dessen offizielle Chronologie mittlerweile siebzehn Spiele sowie zahlreiche weitere Ableger umfasst. Trotz ihrer Exklusivvermarktung für Nintendo-Konsolen und damit eng umrissenen Zielgruppe, genießen die meisten „Zelda“-Veröffentlichungen ein hohes Ansehen und sind weithin, auch unter fachunkundigen Menschen, bekannt. Der 1986 erschienene, erste Teil der Reihe gilt als Pionier des modernen Action-Adventures und inoffizielles Vorbild für viele, nicht nur diesem Genre zugehörigen Spiele. Das GEE-Magazin kürte das Spiel zu einem der „50 wichtigsten Werke der Games-Geschichte“ und begründete diese Entscheidung wie folgt:
„Aus nur 128 Kilobyte erschuf das Designteam um Shigeru Miyamoto ein riesiges Königreich […] – Zelda war die Blaupause für so unterschiedliche Genres wie das Action-Adventure, das Fantasy-RPG und offene Spielwelten à la Grand Theft Auto.“ (103)
Im Laufe ihrer nunmehr 28 Jahre umfassenden Entwicklungsgeschichte haben sich die Spiele hinsichtlich ihrer Grafik und Spielmechanik deutlich verändert, während die Erzählstruktur in ihren Grundzügen sehr ähnlich geblieben ist. War das erste „Zelda“ zu seiner Zeit zwar eine revolutionäre Neuerung, aber dennoch ein recht simples 2D-Abenteuer, wurden seine Nachfolger mit der Zeit zusehends komplexer und nahmen unter anderem eine wichtige Rolle bei der Etablierung der nunmehr gängigen 3D-Grafik ein. (104) (105) Im Zentrum aller „Zelda“-Spiele steht der Elfenjunge Link, der in jedem Spiel die Rolle des Helden einnimmt und als Retter in der Not in Erscheinung tritt – meist im Angesicht des Bösen, das die Welt in Dunkelheit zu stürzen oder sie zu unterjochen droht. Verkörpert wird diese bose Macht durch Ganon(dorf), einen finsteren Magier in wechselnder Gestalt, der das Königreich Hyrule an sich zu reißen versucht, und seine dämonischen Schergen. Eine weitere zentrale Figur ist Prinzessin Zelda, die als menschliche Inkarnation der Göttin Hylia den auserwählten Helden mit der Rettung der Welt betraut. Diese drei Persönlichkeiten sind durch das sogenannte Triforce schicksalhaft miteinander verbunden – ein sagenumwobenes Relikt, bestehend aus drei goldenen Dreiecken, das seinen Träger_innen einen Wunsch erfüllt. (106) So dient es aufgrund der in ihm ruhenden Macht in vielen Spielen als Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, da das Böse sich dessen Kraft anzueignen versucht und dem Helden aufgetragen wird, dies zu verhindern. Link, Zelda und auch Ganon tragen je eines dieser Fragmente in sich: Das Triforce des Mutes, der Weisheit und der Macht. (107) Die Zuordnung der damit verknüpften Kräfte legt die klare Rollenverteilung unter den drei Hauptfiguren offen, die Link als tapferen Krieger im Kampf gegen das Böse, Zelda als körperlich schwache, aber weise Regentin, und Ganon(dorf) als starken Antagonisten charakterisiert, der blind nach Macht strebt. Im Kern ist diese Struktur bis heute erhalten geblieben und wurde über die Jahre hinweg lediglich weiter ausdifferenziert.
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Tomb Raider
Lara Croft ist ein mediales Phänomen, diese Erkenntnis wird durch ihre Bekanntheit auch unter weniger spieleaffinen Menschen immer wieder bestätigt. Nicht nur erschien sie bis zum heutigen Tag auf mehr Magazin-Titelseiten als manches Supermodel, sondern bildete wiederholt das Zentrum des Interesses aller bekannten Medien. So trat sie als Gast in gleich mehreren Musikvideos auf, sei es in ihrer ursprünglichen, virtuellen Gestalt oder in Form einer ihrer realen Stellvertreterinnen. Das hierzulande bekannteste Beispiel dürfte wohl das Musikvideo zum Lied „Ein Schwein namens Männer“ der Ärzte sein (149), doch blieb es mitnichten bei einigen, wenigen Gastauftritten. Lara zeigte sich immer häufiger auch im Fernsehen und verfügte über eine mediale Präsenz, die bisher keine andere, virtuelle Gestalt zu erreichen vermochte. Eine ihrer wichtigsten Rollen in der internationalen Medienlandschaft war jedoch zweifellos jene als Werbefigur. Ob diese nun ihren Erfolg bedingte oder ihn vielmehr voraussetzte, lässt sich gegenwärtig kaum mehr nachvollziehen; fest steht nur, dass ihr Auftreten in Werbespots für Autos (150), Limonade (151) und Kreditkarten (152) ihre Bekanntheit nachhaltig befeuerte. Je mehr Menschen Lara Croft dabei zusahen, wie sie mit Hilfe französischer Kleinwagen ihre waghalsigen Stunts bestritt, desto beständiger wuchs die Käuferschaft ihrer virtuellen Abenteuer. Und je mehr Spiele der „Tomb Raider“-Reihe abgesetzt wurden, desto interessanter wurde deren Protagonistin als Werbeikone. Mit zunehmender Präsenz und wachsender Verehrerzahl erschien es auf lange Sicht unabdingbar, die Abenteurerin durch Platzhalterinnen aus Fleisch und Blut vom Bildschirm in die Realität zu übertragen. Bis zum heutigen Tage übernahmen diese Rolle zehn offiziell vom Produzenten der Serie vorgestellte Modelle sowie Angelina Jolie als Hauptdarstellerin in den beiden „Tomb Raider“-Verfilmungen. (153) (154) Gestützt wurde die Universalität der Figur durch den ständigen Austausch dieser Darstellerinnen, der im Schnitt einmal im Jahr erfolgte. Lara war schon immer ein Baukasten, dessen Erscheinungsbild sowohl durch die Spieleentwickler selbst als auch die Fans ständig erweitert wurde. Dass die ihr entgegengebrachte Ehrerbietung daher gelegentlich eigenwillige Züge annehmen sollte, war wohl unvermeidlich. So wurde Lara Croft vor einigen Jahren die Ehre zuteil, einer Straße in der britischen Stadt Derby ihren Namen zu verleihen (155). Und selbst aus der Politik ertönten Stimmen, die dafür plädierten, der virtuellen Abenteurerin mehr Bedeutung zu verleihen – als Botschafterin des britischen Ministeriums für Wissenschaft. (156) Ehe man jedoch näher auf Laras weitreichenden Einfluss und seine Bedeutung gerade im Geschlechterkontext eingehen kann, muss man sich ihr zunächst über ihren Entstehungsprozess und die Chronik ihrer ersten Erfolge nähern.
[…]
Körper
Wann immer Menschen auf Lara Croft zu sprechen kommen, ist ein Hinweis auf ihre Physiognomie nicht fern. Stets präsent, waren ihre großen Brüste, ihre schmale Taille und ihre Affinität zu besonders knapper Kleidung ein zuverlässiges Befeuerungsmaterial sowohl für hitzige Diskussionen wie auch brennende Leidenschaft. Obgleich Laras Brustgröße Gerüchten zufolge nur das Resultat eines versehentlich veränderten Zahlenwerts in der 3D-Software war, ist sie eines ihrer bekanntesten Merkmale. Und so blieb es nicht aus, das im Laufe des nunmehr sechzehnjährigen Bestehens der Spiele-Serie deren Hauptdarstellerin selbst in der Fachpresse immer wieder mit passenden Kommentaren angekündigt wurde:
„[Lara] had a secret weapon in the world of gaming, well… actually two of them.” (158)
“…da sich die gute Lara mal wieder unnötig keusch gibt, haben wir mal unter ihren Rock geguckt.” (159)
„An alle, die also noch Schlange stehen: Wir hatten die Alte zuerst.“ (160)
„…mit derben Waffen und gleich zwei schlagenden Argumenten ausgestattet.“ (161)
„Dicke Dinger gegen dicke Hauer.“ (162)
„Langweilig wurde Tomb Raider so gut wie nie. Und wenn doch, dann konnte man Lara immer noch genau so positionieren, dass die Kamera aus der Nähe genau auf ihre hervorstechendsten Merkmale gerichtet war.“ (163)
Auch die ersten, privat erstellten Spiele-Modifikationen (Mods und Patches) ließen nicht lange auf sich warten, nach deren Installation eine mal mehr, mal weniger nackte (164) Lara Croft durch Höhlen und Katakomben gesteuert werden konnte. Ihr dabei zunächst ausgesprochen kantiges, künstliches Erscheinungsbild schien die Spieler kaum zu stören, deutete es einen (wenngleich virtuellen) Körper doch immerhin an. Der Rest war reine Projektion.
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Sex in Spielen
Einhergehend mit der Differenzierung von Geschlecht, hielt auch die Sexualität Einzug in das Medium Spiel. Kaum ein Thema wird intensiver und vielfältiger verhandelt als dieses, gerade durch seine Abkoppelung von reinen Fortpflanzungsmechanismen und die Schwerpunktverlagerung hin zum Ausdruck wechselseitiger Zuneigung, aber auch gemeinsamen Zeitvertreibs. Sex ist ein essentieller Inhalt aller Kunst- und Medienformen, jedoch nahezu immer auf bloße Rezeption und nicht auf Interaktion ausgelegt. Es war daher nur eine Frage der Zeit, ehe diese für Spiele charakteristische Komponente für die Darstellung von Körperlichkeit genutzt werden sollte. Bedingt auch durch seine junge Entstehungsgeschichte, war die Einführung sexueller Inhalte in dieses Medium signifikant einfacher als etwa im Film. Erst in den späten 70er Jahren wurden Videospiele durch die Vorstellung erster Heimkonsolen und Eröffnung immer neuer Spielhallen einem breiten Publikum überhaupt zugänglich gemacht – zu einer Zeit also, in der emanzipatorische Bewegungen deutlich voranschritten und mit ihnen ein Abnabelungsprozess von den strikten Moralvorstellungen vorheriger Generationen.
Dennoch war der Umgang mit Sex und Nacktheit im Spiel Einschränkungen unterworfen, und zwar solchen technischer Art. Eingabegeräte wie auch grafische Komponenen zeichneten sich durch eine Simplizität aus, die zwar durch die Immersion vielfach erfolgreich ausgeblendet werden konnte, aber eine Schilderung komplexer Sachverhalte kaum zuließ. 1981 veröffentlichte die US-amerikanische Firma On-Line mit ihrem „Softporn Adventure“ (205) eines der ersten Erotikspiele, eine ausschließlich textbasierte Erzählung mit wenigen Eingabemöglichkeiten. Inhaltlich vergleichsweise bieder, lockte das interaktive Abenteuer um einen erfolglosen jungen Mann, dessen Ziel darin bestand, Frauen zu verführen, lediglich mit erotischen Andeutungen – und einem Titelfoto, auf dem drei On-Line-Mitarbeiterinnen nackt in einem Whirlpool posierten, darunter auch die Firmenmitgründerin und Entwicklerkoriphäe Roberta Williams. Dass On-Line hiermit den Nerv der Zeit traf, zeigten die Verkaufszahlen: Trotz der Verbreitung zahlreicher Raubkopien, wurde das Spiel 25.000 mal verkauft (206) und damit fast so häufig wie der Apple II-Computer, für den es entwickelt wurde. In den nachfolgenden Jahren nahm die Verbreitung sexueller Inhalte im Spiel deutlich zu, vorrangig allerdings durch deren Nutzung als Marketinginstrument.
Mit Ausnahme der „Poke the doll“-Spiele, in denen eine nackte oder spärlich bekleidete weibliche Figur mit Händen und Hilfsmitteln stimuliert wurde (207), gab es nur wenige Titel, die ihren Fokus explizit auf Sex legten. Stattdessen wurden erotische Stimuli vorrangig genutzt, um gängigen Spielmechaniken neue Anreize zu verleihen und die entsprechenden Produkte innovativer erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich waren. Zu den bekannteren Vertretern dieser Gattung gehören die drei im Jahre 1982 als unlizensierte Produkte für den Atari 2600 entwickelten Spiele „Beat ‘Em & Eat ‘Em“, „Bachelor Party“ und „Custer’s Revenge“ (208). Letzteres gelangte zu besonders zweifelhaftem Ruf aufgrund der darin gezeigte Vergewaltigung einer amerikanischen Ureinwohnerin durch den namensgebenden Protagonisten. Wenn auch kurze Zeit später verschiedene alternative Versionen des Spiels erschienen, in denen unter anderem das Geschlecht der beiden Hauptfiguren vertauscht und das beidseitige Einvernehmen während der sexuellen Handlungen deutlicher hervorgehoben wurde, war die Kontroverse deutlich beständiger als jene Firma, in der sie ihren Ursprung nahm, denn „Mystiques“ Portfolio sollte nie mehr als diese drei Titel umfassen.
Dass konsensueller Geschlechtsverkehr dar- und ein Bezug zum realen Sexleben durchaus hergestellt werden konnte, bewies „Night Life“ (209), ein Titel der japanischen Firma Koei, der als erster seiner Art explizites Bildmaterial enthielt und zugleich darauf verzichtete, diesen Abbildungen eine rein pornografische Wirkung zu verleihen. Stattdessen diente das Spiel als Ratgeber für Paare, waren die Abbildungen der verschiedenen Sexpositionen Anregungen für Selbstversuche und Extras wie ein Kalender, anhand dessen der Menstruationszyklus der Partnerinnen bestimmt werden konnte, ein Verknüpfungspunkt zum Alltag der Spieler_innen. Generell zeichnete sich in Japan bereits früh ein offenerer – nicht gesamtgesellschaftlicher, aber fiktive Inhalte betreffender – Umgang mit Sexualität ab, der sich zunächst vorrangig in explizit auf Erwachsene zugeschnittenen Comics manifestierte und bald darauf auch Einfluss auf die lokale Spielekultur nahm.
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