Leseprobe

Index

1. Einleitung ………………………………………………………………………………….. S. 9
2. Vorgehensweise und Methodenwahl ……………………………………… S. 11
2.1 Geschlecht ………………………………………………………………………………. S. 15
3. Die Geschichte der Videospiele ……………………………………….……… S. 25
4. Kurzanalysen ……………………………………………………………………………. S. 31
4.1 Pong …………………………………………………………………………………………. S. 33
4.2 Space Invaders ……………………………………………………………………….. S. 34
4.3 PacMan ……………………………………………………………………………………. S. 34
4.4 MsPacMan ………………………………………………………………………………. S. 36
4.5 Donkey Kong ………………………………………………………………………….. S. 38
4.6 Metroid …………………………………………………………………………………… S. 40
4.7 Mass Effect ……………………………………………………………………………… S. 47
4.8 Mirror’s Edge ………………………………………………………………………….. S. 48
4.9 Fable ………………………………………………………………………………………… S. 49
4.10 God of War ……………………………………………………………………………. S. 52
4.11 Devil May Cry ……………………………………………………………………….. S. 56
4.12 Bioshock Infinite ………………………………………………………………….. S. 58
5. Tiefenanalysen …………………………………………………………………………. S. 65
5.1 The Legend of Zelda ……………………………………………………………….. S. 66
5.1.1 The Legend of Zelda……………………………………………………………… S. 67
5.1.2 Zelda II: The Adventure of Link ………………………………………….. S. 68
5.1.3 Link’s Awakening …………………………………………………………………. S. 69
5.1.4 The Wand of Gamelon/Zelda‘s Adventure ………………………….. S. 70
5.1.6 Ocarina of Time …………………………………………………………………….. S. 71
5.1.7 The Wind Waker …………………………………………………………………… S. 74
5.1.8 Twilight Princess …………………………………………………………………… S. 78
5.1.9 Skyward Sword …………………………………………………………………….. S. 80
5.1.10 Fazit ……………………………………………………………………………………… S. 82
5.2 Tomb Raider …………………………………………………………………………….. S. 84
6. Fazit …………………………………………………………………………………………….. S. 99
7. Sex in Spielen ……………………………………………………………………………… S. 109
8. Interviews …………………………………………………………………………………… S. 123
8.1 Lea Schönfelder ……………………………………………………………………….. S.124
8.2 Anjin Anhut ……………………………………………………………………………..  S. 134
8.3 Joe Köller ………………………………………………………………………………….. S. 146
8.4 Sebastian Kalitzki …………………………………………………………………….. S. 158
8.5 Helga Hansen ……………………………………………………………………………. S. 166
8.6 Anna Rotenberg ……………………………………………………………………….. S. 174
9. Statistiken……………………………………………………………………………………. S. 185
10. Glossar ………………………………………………………………………………………. S. 197
11. Quellen ………………………………………………………………………………………. S. 211


Die Geschichte der Videospiele

Im Vergleich zu jedem anderen bekannten Medium, durchlebten Video- und Computerspiele einen rasanten Fortschritt. Während der Film etwa eine mehr als 140 Jahre umfassende Entwicklungsgeschichte mit sich brachte, vergingen lediglich 55 Jahre von den Anfängen elektronischer Spiele als bloße Visualisierungen elektrischer Spannungen bis zur gegenwärtigen, nahezu fotorealistischen Darstellung riesiger Welten, deren Durchquerung allein oft mehrere Stunden beansprucht. Nachdem bereits in den frühen 1950er Jahren einfachste Spiele wie „OXO“ (heute weithin bekannt als „Tic Tac Toe“) (20) durch Leuchtmittel sogenannter Röhrenrechner dargestellt werden konnten (21), galt das 1958 durch den amerikanischen Physiker William Higinbotham vorgestellte „Tennis for Two“ als großer Durchbruch in der Geschichte der elektronischen Spiele. Mit nur einem Analogcomputer und einem Oszilloskop, das eine durch zwei Eingabemöglichkeiten veränderbare, elektrische Spannung darstellte (22), legte der Wissenschaftler den Grundstein für eines der populärsten und bis heute bekanntesten Spiele aller Zeiten: „Pong“. Da jedoch bis in die 1970er Jahre Computertechnologie dem wissenschaftlichem Gebrauch vorbehalten und selbst noch Gegenstand der Forschung war, wurden Videospiele erst durch die Vorstellung von Ralph H. Bears „Brown Box“ im Jahre 1968 und die nunmehr entwickelten, elektronischen Spielautomaten gesellschaftsfähig. Die „Brown Box“, selbst nur ein Prototyp, wurde schließlich zur ersten Videospielkonsole weiterentwickelt: der 1972 veröffentlichten Magnavox Odyssey. (23) Da die technischen Einschränkungen des Geräts nicht mehr als die Darstellung weißer Pixel auf schwarzem Grund zuließen, wurde jedem Spiel eine individuell angepasste Plastikfolie mitgeliefert, über die das Spielfeld definiert wurde. Diese ließ sich für gewöhnlich durch zusätzliche Komponenten ergänzen, die denen von Gesellschaftsspielen nicht unähnlich waren: Durch Spielsteine und –bretter, Karten, Notizzettel und sogar Papiergeld wurde das an sich stark vereinfachte und viel Fantasie erfordernde Spielgeschehen auf dem Bildschirm interessanter und greifbarer. (24) Die Spiele dienten als Freizeitbeschäftigung für die ganze Familie und wurden mit hierzu passenden Fotos gemeinsam vor dem Fernseher sitzender Familienmitglieder beworben. Obwohl bereits im Laufe dieses Jahrzehnts weitere Firmen wie etwa Atari und der Spielzeughersteller Mattel eigene Heimkonsolen vorstellten und eine zu Hause spielbare Version des Spielhallenerfolgs „Space Invaders“ deren Popularität bedeutend steigerte, konnten Videospiele als Massenmedium erst nach dem Einbruch des Marktes im Jahre 1983 international Fuß fassen. Dieser „Video Game Crash“ brachte einen deutlichen Einschnitt in die immer umfangreichere und, daraus resultierend, auch unübersichtlicher werdende Auswahl von Soft- und Hardware, die durch erschwingliche Heimcomputer erweitert wurde. Zahlreiche Firmen gaben daraufhin den Kampf um die Gunst der Konsumenten auf. (25) Unterdessen stellte in Japan der Spielkarten-Produzent Nintendo seine ersten Konsolen und, mit der „Game & Watch“-Serie, sogar tragbare Geräte vor (26), die reißenden Absatz fanden. Nachdem sich die Firma zunächst auf den japanischen Markt konzentrierte, beschloss sie schließlich, den Sprung nach Amerika zu wagen – mit dem Nintendo Entertainment System (NES), ursprünglich bekannt als Famicom. Damit begründete Nintendo seine Erfolgsgeschichte auf dem Spiele-Markt, die bis weit in die 1990er Jahre andauern sollte. Allerdings ließ die Konkurrenz nicht lange auf sich warten: So unter anderem Sega, eine ebenfalls in Japan operierende Firma, die zunächst Spielhallen mit Automaten und Spielen belieferte und später Geräte für den heimischen Gebrauch entwickelte. Obgleich Sega zunächst chancenlos zu sein schien, da das NES sich in den USA großer Beliebtheit erfreute, wuchs die Firma mit der Zeit zu einer immer ernstzunehmenderen Konkurrenz heran und nahm mit dem Ende der 1980er Jahre veröffentlichten Sega Genesis/Sega Mega Drive den Sprung in eine neue Ära besserer Grafik und komplexerer Spiele vorweg, auf den Nintendo bald darauf durch die Vorstellung seines Super Nintendo Entertainment Systems (SNES) reagierte. Videospiele richteten sich nun überwiegend an Kinder und Jugendliche, vor allem jene männlichen Geschlechts. Die Nutzung der heimischen Konsolen entwickelte sich vom Familienereignis zum Individual- oder Kleingruppenerlebnis unter Freunden. Einhergehend damit und auch den aggressiven Werbemaßnahmen, die sich immer häufiger exklusiv an Jungen und junge Männer richteten, wurden Mädchen als potenzielle Konsumentinnen allmählich vernachlässigt.

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Gender und Sex

Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher geschlechtertheoretischer Ansätze, soll in diesem Kapitel kurz angerissen und erläutert werden, welche Denkansätze und Begrifflichkeiten dieser Forschungsarbeit zugrunde liegen. Zunächst aber folgt ein kurzer Verweis auf die geschichtliche Entwicklung des „Geschlechts“: Dem amerikanischen Kultur- und Wissenschaftshistoriker Thomas Laqueur zufolge, war bis ins 18. Jahrhundert hinein ein Wissenschaftsmodell geläufig, das er selbst als „Ein-Geschlecht-Modell“ bezeichnete. (1) Demzufolge sah man die Geschlechtsorgane nicht als grundsätzlich verschieden an, sondern betrachtete sie analog zueinander: So etwa die Vagina als nach innen gestülpten Penis und den Hoden des Mannes als Equivalent zu den weiblichen Eierstöcken. Erst in der Epoche der Aufklärung, mit der Etablierung einer auf Unterscheidungen basierenden Weltsicht und Wissensgewinnung, zeichnete sich ein Wandel hin zur gegenwärtig immer häufiger hinterfragten, eindeutig definierten Geschlechterordnung ab. Anders als bisher der Fall, basierten gängige Verhaltensmuster nun nicht mehr vorrangig auf dem Stand, also der sozialen Stellung einer Person, sondern auch auf ihrer geschlechtlichen Zuordnung. (2) Mit der Wahrnehmung des „selbstbewussten Subjekts“ wurde fortan eine als natürlich wahrgenommene, geschlechtliche Identität verknüpft. (3) Wie auch im Falle der sozialen Stellung, wurde dabei jedoch eine Hierarchisierung etabliert, ein Machtgefälle, in dem Männlichkeit mit Stärke assoziiert wurde. Diese Entwicklung gipfelte im sogenannten „Androzentrismus“, der Mensch und Mann gleichsetzte und somit Männlichkeit als Norm, Weiblichkeit hingegen als in Abgrenzung davon bestehende Sonderform definierte – und sich auf die gesellschaftliche Verortung der Geschlechter auswirkte, denn während Männer vorrangig aktive, öffentliche Positionen bekleideten, verblieben Frauen im Privaten, in der Passitivät, und waren dem anderen Geschlecht untergeordnet. Mit der Zeit jedoch wurde diese Geschlechterordnung zunehmend in Frage gestellt und etwa im Rahmen der Frauenforschung, aber auch in zahlreichen anderen geistes-, sozial- und naturwissenschaftlichem Disziplinen diskutiert und neu definiert. Bereits in den 60er Jahren wurde zunächst von amerikanischen Psychoanalytikern (4) und später auch im gesamten angelsächsischen Sprachraum eine sprachliche Trennung zwischen „biologischem“ (Sex) und „sozialem“ (Gender) Geschlecht etabliert. Der ursprünglich der Grammatik entstammende Begriff „Gender“ (dt. Genus = das grammatische Geschlecht von Substantiven, also: Femininum, Maskulinum, Neutrum) (5) beschrieb und beschreibt auch heute noch die soziale und kulturelle (Aus-)Prägung von Geschlecht. Während das biologische Geschlecht ausschließlich Bezug nimmt auf die Anatomie eines Menschen und dessen angeborene, körperliche Geschlechtlichkeit, beschreibt das soziale Geschlecht eine nicht biologisch determinierte, sondern durch das kulturelle und soziale Umfeld eines Menschen erfolgende Prägung. Dementsprechend unterliegt das soziale Geschlecht in seiner Ausformung immer den individuellen, normativen Werten einer Gesellschaft (6) und hängt nicht kausal mit dem „Sexus“ zusammen, der über Vagina und Brüste (Frau) sowie Penis und Skrotum (Mann) festgestellt und festgelegt wird.

„Die Kategorie gender hält bewusst, dass die Existenz von Geschlechterdifferenzen nur zum geringsten Teil auf biologischen (also ‚natürlichen‘) Gegebenheiten beruht, vielmehr im Wesentlichen konstituiert wird durch kulturelle Zuschreibungsmuster, wie sie etwa mit dem Begriff der Geschlechtscharaktere beschrieben sind […], und subjektiv angeeignet werden über eine geschlechtsspezifische Sozialisation (Geschlechterrolle, Geschlechtsidentität).“ (7)

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The Legend of Zelda

Action-Adventure-Genres, dessen offizielle Chronologie mittlerweile siebzehn Spiele sowie zahlreiche weitere Ableger umfasst. Trotz ihrer Exklusivvermarktung für Nintendo-Konsolen und damit eng umrissenen Zielgruppe, genießen die meisten „Zelda“-Veröffentlichungen ein hohes Ansehen und sind weithin, auch unter fachunkundigen Menschen, bekannt. Der 1986 erschienene, erste Teil der Reihe gilt als Pionier des modernen Action-Adventures und inoffizielles Vorbild für viele, nicht nur diesem Genre zugehörigen Spiele. Das GEE-Magazin kürte das Spiel zu einem der „50 wichtigsten Werke der Games-Geschichte“ und begründete diese Entscheidung wie folgt:

„Aus nur 128 Kilobyte erschuf das Designteam um Shigeru Miyamoto ein riesiges Königreich […] – Zelda war die Blaupause für so unterschiedliche Genres wie das Action-Adventure, das Fantasy-RPG und offene Spielwelten à la Grand Theft Auto.“ (103)

Im Laufe ihrer nunmehr 28 Jahre umfassenden Entwicklungsgeschichte haben sich die Spiele hinsichtlich ihrer Grafik und Spielmechanik deutlich verändert, während die Erzählstruktur in ihren Grundzügen sehr ähnlich geblieben ist. War das erste „Zelda“ zu seiner Zeit zwar eine revolutionäre Neuerung, aber dennoch ein recht simples 2D-Abenteuer, wurden seine Nachfolger mit der Zeit zusehends komplexer und nahmen unter anderem eine wichtige Rolle bei der Etablierung der nunmehr gängigen 3D-Grafik ein. (104) (105) Im Zentrum aller „Zelda“-Spiele steht der Elfenjunge Link, der in jedem Spiel die Rolle des Helden einnimmt und als Retter in der Not in Erscheinung tritt – meist im Angesicht des Bösen, das die Welt in Dunkelheit zu stürzen oder sie zu unterjochen droht. Verkörpert wird diese bose Macht durch Ganon(dorf), einen finsteren Magier in wechselnder Gestalt, der das Königreich Hyrule an sich zu reißen versucht, und seine dämonischen Schergen. Eine weitere zentrale Figur ist Prinzessin Zelda, die als menschliche Inkarnation der Göttin Hylia den auserwählten Helden mit der Rettung der Welt betraut. Diese drei Persönlichkeiten sind durch das sogenannte Triforce schicksalhaft miteinander verbunden – ein sagenumwobenes Relikt, bestehend aus drei goldenen Dreiecken, das seinen Träger_innen einen Wunsch erfüllt. (106) So dient es aufgrund der in ihm ruhenden Macht in vielen Spielen als Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, da das Böse sich dessen Kraft anzueignen versucht und dem Helden aufgetragen wird, dies zu verhindern. Link, Zelda und auch Ganon tragen je eines dieser Fragmente in sich: Das Triforce des Mutes, der Weisheit und der Macht. (107) Die Zuordnung der damit verknüpften Kräfte legt die klare Rollenverteilung unter den drei Hauptfiguren offen, die Link als tapferen Krieger im Kampf gegen das Böse, Zelda als körperlich schwache, aber weise Regentin, und Ganon(dorf) als starken Antagonisten charakterisiert, der blind nach Macht strebt. Im Kern ist diese Struktur bis heute erhalten geblieben und wurde über die Jahre hinweg lediglich weiter ausdifferenziert.

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Tomb Raider

Lara Croft ist ein mediales Phänomen, diese Erkenntnis wird durch ihre Bekanntheit auch unter weniger spieleaffinen Menschen immer wieder bestätigt. Nicht nur erschien sie bis zum heutigen Tag auf mehr Magazin-Titelseiten als manches Supermodel, sondern bildete wiederholt das Zentrum des Interesses aller bekannten Medien. So trat sie als Gast in gleich mehreren Musikvideos auf, sei es in ihrer ursprünglichen, virtuellen Gestalt oder in Form einer ihrer realen Stellvertreterinnen. Das hierzulande bekannteste Beispiel dürfte wohl das Musikvideo zum Lied „Ein Schwein namens Männer“ der Ärzte sein (149), doch blieb es mitnichten bei einigen, wenigen Gastauftritten. Lara zeigte sich immer häufiger auch im Fernsehen und verfügte über eine mediale Präsenz, die bisher keine andere, virtuelle Gestalt zu erreichen vermochte. Eine ihrer wichtigsten Rollen in der internationalen Medienlandschaft war jedoch zweifellos jene als Werbefigur. Ob diese nun ihren Erfolg bedingte oder ihn vielmehr voraussetzte, lässt sich gegenwärtig kaum mehr nachvollziehen; fest steht nur, dass ihr Auftreten in Werbespots für Autos (150), Limonade (151) und Kreditkarten (152) ihre Bekanntheit nachhaltig befeuerte. Je mehr Menschen Lara Croft dabei zusahen, wie sie mit Hilfe französischer Kleinwagen ihre waghalsigen Stunts bestritt, desto beständiger wuchs die Käuferschaft ihrer virtuellen Abenteuer. Und je mehr Spiele der „Tomb Raider“-Reihe abgesetzt wurden, desto interessanter wurde deren Protagonistin als Werbeikone. Mit zunehmender Präsenz und wachsender Verehrerzahl erschien es auf lange Sicht unabdingbar, die Abenteurerin durch Platzhalterinnen aus Fleisch und Blut vom Bildschirm in die Realität zu übertragen. Bis zum heutigen Tage übernahmen diese Rolle zehn offiziell vom Produzenten der Serie vorgestellte Modelle sowie Angelina Jolie als Hauptdarstellerin in den beiden „Tomb Raider“-Verfilmungen. (153) (154) Gestützt wurde die Universalität der Figur durch den ständigen Austausch dieser Darstellerinnen, der im Schnitt einmal im Jahr erfolgte. Lara war schon immer ein Baukasten, dessen Erscheinungsbild sowohl durch die Spieleentwickler selbst als auch die Fans ständig erweitert wurde. Dass die ihr entgegengebrachte Ehrerbietung daher gelegentlich eigenwillige Züge annehmen sollte, war wohl unvermeidlich. So wurde Lara Croft vor einigen Jahren die Ehre zuteil, einer Straße in der britischen Stadt Derby ihren Namen zu verleihen (155). Und selbst aus der Politik ertönten Stimmen, die dafür plädierten, der virtuellen Abenteurerin mehr Bedeutung zu verleihen – als Botschafterin des britischen Ministeriums für Wissenschaft. (156) Ehe man jedoch näher auf Laras weitreichenden Einfluss und seine Bedeutung gerade im Geschlechterkontext eingehen kann, muss man sich ihr zunächst über ihren Entstehungsprozess und die Chronik ihrer ersten Erfolge nähern.

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Körper

Wann immer Menschen auf Lara Croft zu sprechen kommen, ist ein Hinweis auf ihre Physiognomie nicht fern. Stets präsent, waren ihre großen Brüste, ihre schmale Taille und ihre Affinität zu besonders knapper Kleidung ein zuverlässiges Befeuerungsmaterial sowohl für hitzige Diskussionen wie auch brennende Leidenschaft. Obgleich Laras Brustgröße Gerüchten zufolge nur das Resultat eines versehentlich veränderten Zahlenwerts in der 3D-Software war, ist sie eines ihrer bekanntesten Merkmale. Und so blieb es nicht aus, das im Laufe des nunmehr sechzehnjährigen Bestehens der Spiele-Serie deren Hauptdarstellerin selbst in der Fachpresse immer wieder mit passenden Kommentaren angekündigt wurde:

„[Lara] had a secret weapon in the world of gaming, well… actually two of them.” (158)
“…da sich die gute Lara mal wieder unnötig keusch gibt, haben wir mal unter ihren Rock geguckt.” (159)
„An alle, die also noch Schlange stehen: Wir hatten die Alte zuerst.“ (160)
„…mit derben Waffen und gleich zwei schlagenden Argumenten ausgestattet.“ (161)
„Dicke Dinger gegen dicke Hauer.“ (162)
„Langweilig wurde Tomb Raider so gut wie nie. Und wenn doch, dann konnte man Lara immer noch genau so positionieren, dass die Kamera aus der Nähe genau auf ihre hervorstechendsten Merkmale gerichtet war.“ (163)

Auch die ersten, privat erstellten Spiele-Modifikationen (Mods und Patches) ließen nicht lange auf sich warten, nach deren Installation eine mal mehr, mal weniger nackte (164) Lara Croft durch Höhlen und Katakomben gesteuert werden konnte. Ihr dabei zunächst ausgesprochen kantiges, künstliches Erscheinungsbild schien die Spieler kaum zu stören, deutete es einen (wenngleich virtuellen) Körper doch immerhin an. Der Rest war reine Projektion.

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Sex in Spielen

Einhergehend mit der Differenzierung von Geschlecht, hielt auch die Sexualität Einzug in das Medium Spiel. Kaum ein Thema wird intensiver und vielfältiger verhandelt als dieses, gerade durch seine Abkoppelung von reinen Fortpflanzungsmechanismen und die Schwerpunktverlagerung hin zum Ausdruck wechselseitiger Zuneigung, aber auch gemeinsamen Zeitvertreibs. Sex ist ein essentieller Inhalt aller Kunst- und Medienformen, jedoch nahezu immer auf bloße Rezeption und nicht auf Interaktion ausgelegt. Es war daher nur eine Frage der Zeit, ehe diese für Spiele charakteristische Komponente für die Darstellung von Körperlichkeit genutzt werden sollte. Bedingt auch durch seine junge Entstehungsgeschichte, war die Einführung sexueller Inhalte in dieses Medium signifikant einfacher als etwa im Film. Erst in den späten 70er Jahren wurden Videospiele durch die Vorstellung erster Heimkonsolen und Eröffnung immer neuer Spielhallen einem breiten Publikum überhaupt zugänglich gemacht – zu einer Zeit also, in der emanzipatorische Bewegungen deutlich voranschritten und mit ihnen ein Abnabelungsprozess von den strikten Moralvorstellungen vorheriger Generationen.

Dennoch war der Umgang mit Sex und Nacktheit im Spiel Einschränkungen unterworfen, und zwar solchen technischer Art. Eingabegeräte wie auch grafische Komponenen zeichneten sich durch eine Simplizität aus, die zwar durch die Immersion vielfach erfolgreich ausgeblendet werden konnte, aber eine Schilderung komplexer Sachverhalte kaum zuließ. 1981 veröffentlichte die US-amerikanische Firma On-Line mit ihrem „Softporn Adventure“ (205) eines der ersten Erotikspiele, eine ausschließlich textbasierte Erzählung mit wenigen Eingabemöglichkeiten. Inhaltlich vergleichsweise bieder, lockte das interaktive Abenteuer um einen erfolglosen jungen Mann, dessen Ziel darin bestand, Frauen zu verführen, lediglich mit erotischen Andeutungen – und einem Titelfoto, auf dem drei On-Line-Mitarbeiterinnen nackt in einem Whirlpool posierten, darunter auch die Firmenmitgründerin und Entwicklerkoriphäe Roberta Williams. Dass On-Line hiermit den Nerv der Zeit traf, zeigten die Verkaufszahlen: Trotz der Verbreitung zahlreicher Raubkopien, wurde das Spiel 25.000 mal verkauft (206) und damit fast so häufig wie der Apple II-Computer, für den es entwickelt wurde. In den nachfolgenden Jahren nahm die Verbreitung sexueller Inhalte im Spiel deutlich zu, vorrangig allerdings durch deren Nutzung als Marketinginstrument.

Mit Ausnahme der „Poke the doll“-Spiele, in denen eine nackte oder spärlich bekleidete weibliche Figur mit Händen und Hilfsmitteln stimuliert wurde (207), gab es nur wenige Titel, die ihren Fokus explizit auf Sex legten. Stattdessen wurden erotische Stimuli vorrangig genutzt, um gängigen Spielmechaniken neue Anreize zu verleihen und die entsprechenden Produkte innovativer erscheinen zu lassen, als sie es tatsächlich waren. Zu den bekannteren Vertretern dieser Gattung gehören die drei im Jahre 1982 als unlizensierte Produkte für den Atari 2600 entwickelten Spiele „Beat ‘Em & Eat ‘Em“, „Bachelor Party“ und „Custer’s Revenge“ (208). Letzteres gelangte zu besonders zweifelhaftem Ruf aufgrund der darin gezeigte Vergewaltigung einer amerikanischen Ureinwohnerin durch den namensgebenden Protagonisten. Wenn auch kurze Zeit später verschiedene alternative Versionen des Spiels erschienen, in denen unter anderem das Geschlecht der beiden Hauptfiguren vertauscht und das beidseitige Einvernehmen während der sexuellen Handlungen deutlicher hervorgehoben wurde, war die Kontroverse deutlich beständiger als jene Firma, in der sie ihren Ursprung nahm, denn „Mystiques“ Portfolio sollte nie mehr als diese drei Titel umfassen.

Dass konsensueller Geschlechtsverkehr dar- und ein Bezug zum realen Sexleben durchaus hergestellt werden konnte, bewies „Night Life“ (209), ein Titel der japanischen Firma Koei, der als erster seiner Art explizites Bildmaterial enthielt und zugleich darauf verzichtete, diesen Abbildungen eine rein pornografische Wirkung zu verleihen. Stattdessen diente das Spiel als Ratgeber für Paare, waren die Abbildungen der verschiedenen Sexpositionen Anregungen für Selbstversuche und Extras wie ein Kalender, anhand dessen der Menstruationszyklus der Partnerinnen bestimmt werden konnte, ein Verknüpfungspunkt zum Alltag der Spieler_innen. Generell zeichnete sich in Japan bereits früh ein offenerer – nicht gesamtgesellschaftlicher, aber fiktive Inhalte betreffender – Umgang mit Sexualität ab, der sich zunächst vorrangig in explizit auf Erwachsene zugeschnittenen Comics manifestierte und bald darauf auch Einfluss auf die lokale Spielekultur nahm.

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