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Was Frauen wollen: She Might Think

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Die Frau: Als gebürtige Venusianerin ist ihr die irdische Kunst des Einparkens fremd. Stets stopft sie nur Beilagensalat oder fettreduzierten Joghurt in ihr Lästermaul, denkt derweil insgeheim an Süßigkeiten und danach, weinend, an ihre verlorene Jugend. Trost findet sie allein im exzessiven Erwerb von Schuhen oder Taschen, wenn ihr Freund wieder auswärts Fußball schaut, anstatt ihr Daheim zum fünfzigsten Mal augenrollend die Abseitsregel zu erklären. Oder wenn er sie nicht versteht, weil sie – dieses irrationale Emotionsbündel – in Rätseln spricht. Kennste, kennste, kennste.

Im Jahr 2015 scheint immer noch nicht geläufig zu sein, dass weder das weibliche noch das männliche Geschlecht eine homogene Masse mit Kollektivbewusstsein ist. Diesem Unwissen wollen Marion Esquian und Ludivine Berthouloux mit She Might Think etwas entgegensetzen: Echte Stellungnahmen von Frauen. Jene sechs Figuren nämlich, die im Spiel eine Wohnung besichtigen, sind allesamt Freundinnen der beiden Entwicklerinnen oder ihnen selbst nachempfunden.

Die Interaktion mit den Charakteren beziehungsweise deren Umfeld ist auf wenige Gegenstände beschränkt, die über das gesamte Appartment verteilt sind – darunter ein Fußball, eine Konsole, Bierflaschen und hochhackige Schuhe. Klickt man diese an, beziehen die Mieterinnen in spe individuell Stellung dazu, schwärmen hier von Strandspaziergängen und Make-Up oder blicken dort despektierlich in die Küche, auf das Diätbuch im Schrank und das schmutzige Geschirr in der Spüle.

Die Reaktionen werden dabei nicht bewertet, nicht explizit als valide oder deplatziert dargestellt. Jede Einschätzung hat ihre Daseinsberechtigung und setzt sich im Gesamtkontext zu einem bunten, bisweilen wirren Puzzle zusammen. Aber genau darum geht es: Menschen sind gelegentlich undurchschaubar, vertreten eigenwillige oder sogar widersprüchliche Ansichten. Nur deshalb ist der Prozess des Kennenlernens immer wieder so interessant, offenbart er doch Stück für Stück eine individuelle Persönlichkeit. Die wiederum manifestiert sich auch in den Bewegungsanimationen der Figuren und der von Person zu Person wechselnden Hintergrundmusik.

Während der Gang durch die Wohnung kurz und unkompliziert ausfällt, ist hier viel Liebe zum Detail erkennbar, durch die dem Spiel mehr Tiefe verliehen wird. Weil sich Geschlechterklischees gerade in unserem Medium relativ beharrlich halten, gelingt es dem „A Game By Its Cover“-Jambeitrag so trotz seiner Einfachheit, überzeugendere Identifikationsfiguren zu präsentieren als manch ein mit jahrelangem Feinschliff aufwartender Open-World-Titel. She Might Think zeigt, wie viel Recherche und Einfühlungsvermögen bewirken können. Und wie viel schöner es in Wirklichkeit ist, sich mit einem Menschen zu befassen, anstatt ihn unter einem Berg von Etiketten zu begraben – und nie wirklich ergründen zu können.

Oversexed and underfucked: Nacktheit im Videospiel

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Im Oktober des vergangenen Jahres ging ein leises Raunen durch die Spielelandschaft. Wie ein Schwelbrand verbreitete sich der Mitschnitt einer Spielszene, befeuert auch durch Sonys unbeholfen wirkende Versuche, genau diesen Prozess durch Androhung rechtlicher Schritte zu unterbinden. Doch was war eigentlich der Gegenstand des Anstoßes? Etwas Ungeheuerliches, dessen Anblick Menschen reihenweise in Verzückung oder Schockstarren versetzte, das ob seines skandalösen Naturells diskussionswürdiger kaum sein könnte:

Eine nackte Frau.

Durch die Nutzung einiger Tricks war es jemandem gelungen, die Kameras in Beyond: Two Souls zu rejustieren und so einer ursprünglich cineastisch inszenierten Duschszene die eine oder andere Ganzkörperaufnahme von Protagonistin Jodie zu entlocken. Was für Fans von Ellen Page, die der Spielfigur als reales Vorbild diente, ein besonderer Grund zur Freude gewesen dürfte, warf mit der Frage, ob durch den ungeplanten Nacktaufritt die Persönlichkeitsrechte der Schauspielerin verletzt wurden, ein ganz neues Problem auf. Der beschriebene Fall ist allerdings nicht nur wegen der ungewöhnlichen Debatte um Identität und Menschenwürde in Zeiten des Motion Capturings von Interesse. Bemerkenswert ist auch, dass überhaupt das Bedürfnis entstand, dem Spiel ungeplante Aufnahmen eines Körpers zu entlocken, der nicht einmal Ellens eigener, sondern ein bloßer Platzhalter ist.

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Diese Situationen ist nicht neu, tauchten doch mit den ersten bekannteren Heldinnen der Spielegeschichte auch zahlreiche Möglichkeiten auf, sie von der Last ihrer Kleidung zu befreien. Seither sind vor allem „Nude Patches“ ein weit verbreitetes Mittel, um den vermeintlichen Mangel erotischer Anreize in Spielen auszugleichen. Kaum ein Titel muss ohne entsprechende Modifikationen auskommen, solange die Frauenquote nur hoch genug ist, um die mit der Texturerstellung verbundene Mühe adäquat zu entlohnen. Über die Archive entsprechender Websites eröffnet sich eine völlig neue Welt, eine Welt, in der unsterbliche Soldatinnen barbusig über Schlachtfelder rennen und sich schwertschwingende Kriegerinnen furcht- und kleiderlos auf feuerspeiende Drachen stürzen.

Dass solche ungeplanten Eingriffe in die Spielwelten nicht nur absurde Situationen und Immersionseinbrüche, sondern potenziell auch weitreichende Konsequenzen mit sich bringen, zeigte sich am Beispiel des vierten Teils von Bethesdas The Elder Scrolls-Reihe: Nachdem durch einen Nude Patch offenkundig geworden war, dass das Spiel selbst durch entsprechende Modelle und Texturen das Basismaterial für nackte Brüste bereitstellte, änderte das US-amerikanische „Entertainmet Software Rating Board“ prompt dessen Alterseinstufung – und das, obwohl die Figuren in Oblivion selbst gar nicht nackt auftraten. Grund für die Empörung, den Wunsch, die zarten Teenageraugen zu schützen, war also die revolutionäre Erkenntnis, dass Menschen unter ihrer Kleidung nackt sind.

Noch größere Wellen schlug bekanntermaßen der ausgebliebene Versuch von Rockstar Games, auf Sex als alltäglichen Bestandteil der meisten Partnerschaften aufmerksam zu machen. Die nur durch viel Gefriemel überhaupt zugängliche, da bewusst tief im Programmcode verborgene „Hot Coffee Mod“ legte ein eher unfreiwillig-komisches als die Libodo stimulierendes Minispiel offen, das den Protagonisten und seine Partnerin beim holprigen Geschlechtsakt präsentierte – voll bekleidet und mit ebenso hölzernen Gesichtern wie Dialogen. Als naheliegende Konsequenz folgte die de facto-Verbannung des Spiels aus den Ladenlokalen durch die Neueinstufung als Adults Only-Material, die in den Vereinigten Staaten einer Indizierung gleichkommt. Ein Blick auf die erstaunlich kurze Liste der bisher entsprechend bewerteten Titel zeigt, dass in den seltensten Fällen Gewaltdarstellungen als ausschlaggebend angeführt werden, sondern nahezu immer „Nacktheit“ oder „Sex“ als bestimmende Faktoren auftreten. Die Toleranz für Gewalt geht so weit, dass selbst forcierter Sex eher akzeptiert wird als in allseitigem Einverständnis stattfindender, wie GTA: San Andreas veranschaulicht. Denn während der konsensuelle Geschlechtsverkehr der “Hot Coffee“-Szenen aus dem Spiel entfernt werden musste, um das Prädikat “Mature” zu erhalten und das Spiel somit wieder frei verkaufen zu können, blieb die Option, mit Prostituierten zu schlafen und daraufhin das zuvor gezahlte Geld wieder aus ihnen herauszuprügeln, erhalten.

Was bietet sich also an, um trotz des notwendigen Verzichts auf sexuelle Handlungen Erregung zu erzeugen? Vor allem eine Vielzahl deplatzierter Brüste. Auch in Gegenüberstellung zu den mal mehr, mal weniger amateurhaften Modifikationen, wirken Projekte professionellen Ursprungs nicht zwingend überzeugender. Sex und Nacktheit waren und sind selten mehr als erotische Hüllen, die der Vermarktung uninspirierter Spielmechaniken dienen sollen. In ihrer dezenteren Form haben sie längst Einzug in die gesamte Spieleindustrie gehalten: Allerorten locken vorrangig leichtbekleidete Frauen die mutmaßlich nach wie vor dominierende heterosexuelle, männliche Spielerschaft mit Reizen, die keine Sehnsüchte stillen, sondern neue erzeugen.

Dieser erotische Überfluss erfüllt niemals das ihm eigene Versprechen der Befriedrigung. Stattdessen generiert er eine Kurzzeitstimulierung, der eine erneut zu füllende Leere folgt. Dahinter steht ein kapitalistisches System, das diesen Mangel bewusst aufrechterhält, um durch die Kommerzialisierung von Sex – oder dem, was man dafür hält – Produkte vermarkten zu können, die mit Sex an sich nichts zu tun haben. Und das gilt eben auch für Unterhaltungselektronik. Paradoxerweise unterstützen ausgerechnet konservative Sittenwächter diese systematische Entfremdung von natürlicher Sexualität, indem sie durch reaktionäres In-Grund-und-Boden-Skandalisieren vergleichsweise harmloser Inhalte einen erwachsenen Umgang mit dem Thema konsequent unterbinden, aber genau hierdurch den Wunsch nach sexueller Erfüllung aufrechterhalten, der dann über Umwege gestillt werden muss.

Wie absurd dieser Prozess bisweilen anmutet, verdeutlichte die Reaktion des Senders Fox News auf die Sexszenen in Mass Effect, die als „full on digital nudity“ betitelt, in Wirklichkeit nicht mehr zeigen als nackte Rücken, Hintern und sich dezent abzeichnendes, mal hinter einem angehobenen Arm hervorblitzendes Brustfett. Das Argument der Abstumpfung durch die Konfrontation mit dem Gezeigten schoss gerade hier vollkommen am Ziel vorbei, denn zaghaft angedeuteter, einvernehmlicher Sex, der auf zuvor sorgsam aufgebauter Intimität beruht, bietet denkbar wenig Potenzial für Indifferenz. Stattdessen wohnt ihm die Authentizität des Alltäglichen inne, die Konservative wie auch Marketingstrateg_innen zu fürchten scheinen, denn Intimität ist kostenlos zu haben und, zumindest theoretisch, jederzeit verfügbar.

In einer Gesellschaft allerdings, in der schon ein freigelegter Nippel zum Politikum erklärt wird, ist scheinbar kein Platz für einen unaufgeregten Umgang mit nackter Haut, der Nährboden für Pornografie und erotisches Anschauungsmaterial hingegen umso fruchtbarer, schließlich lassen sich Triebe nicht einfach ausmerzen, und so erhalten die Kritik Übenden den Gegenstand ihrer Kritik selbst aufrecht. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass keine Sättigung eintritt, dass ein Bedarf nach immer mehr nackter Haut besteht und plötzlich auch etwas so Banales wie die tägliche Körperwäsche in ein sinnliches Showreel verwandelt wird. Auch wenn sich die Frage stellt, ob nicht gerade eine schamvoll zurückhaltende und doch eindeutig auf körperliche Inszenierung bedachte Kamerafahrt viel mehr sexuelle Spannung aufbaut, schließlich ist gerade die Verhüllung und der damit einhergehende Raum für Fantasie ein essentieller Bestandteil der Erotik.

Sicher beansprucht sie, ebenso wie die Pornografie, zurecht einen Platz nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Medien. Nichts spricht gegen sexuelle Stimuli, selbst wenn sie durch bloße Fleischbeschau generiert werden. Allein, es mangelt an Alternativen. Während sich insbesondere in der Literatur, aber auch im Film, der bildenden Kunst und der Musik eine immense Vielfalt in der Darstellung von Sexualität entwickelt hat, die der tatsächlichen in nichts außer der realen Interaktion nachsteht, verkommt der Sex im Spiel gemeinhin zum Quick Time Event und der nackte Körper zur Projektionsfläche für die eigenen, unterdrückten Gelüste.

Überschaubar ist die Zahl jener Titel, in denen Sex als besondere Form der Intimität oder sich selbst genügender Zeitvertreib dargestellt wird. Stattdessen wird ein Voyeurismus gefördert, der nicht nur bedingt durch seinen Verbleib auf der Oberfläche des künstlichen Körpers, sondern auch durch die starren Rollenbilder, die er dabei propagiert, reichlich unbefriedigend ist. Das mag auch der Schwierigkeit geschuldet sein, einem so komplexen und auf intensiven Emotionen gründenden Prozess mit begrenzten Mitteln gerecht zu werden, nur scheint es, als würden die meisten Entwickler_innen gar nicht erst versuchen, würdevoll an dieser Aufgabe zu scheitern.

Auch wenn zum Beispiel Seduce Me, von Miriam Bellard und Andrejs Skuja eigentlich als blühender Fleck im sexuellen Brachland erdacht, den eigenen Erwartungen nicht im Ansatz gerecht geworden ist, war es immerhin ein zaghafter Versuch, die Enttabuisierung und damit den Fortschritt in der spielerischen Darstellung von Sex voranzutreiben – ein Vorhaben, dem durch Steams wenig liberalen Umgang mit dem Thema ein dicker Riegel vorgeschoben wurde. So steht einer Flut von instrumentalisierter, nackter Haut ein verschämter Umgang mit dem menschlichen Körper gegenüber, dessentwegen selbst die Sims nur verpixelt in ihre Duschen steigen dürfen und durch den überhaupt erst der Gedanke geschürt wird, dass Sequenzen wie diesen irgendein erotischer Anreiz innewohnen könnte. Es stellt sich daher die Frage, ob die erzwungene Frontalsicht auf Jodie Holmes Körper in jedem Fall ein Resultat unterdrückter Sexualität oder nicht doch nur ein Versuch war, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Dass auf diesem nackten Leib das digitale Abbild von Ellen Pages Kopf prangte und damit die Würde der Schauspielerin missachtet wurde, verleiht ihm einen ebenso faden Beigeschmack wie die zu weiten Teilen pubertären Reaktionen; doch vielleicht lässt sich dieser Anlass nutzen, um das prüde Menschenbild zu hinterfragen, das als Keimzelle für diesen und andere Nude Patches dient.

Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen. [Achtung: NSFW]

E3 2013, Babes & die Spielepresse: Eine Momentaufnahme

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„Was wäre eine Videospielmesse ohne hübsche Damen in aufreizender Kleidung, die sich an den Ständen räkeln?“ (Quelle: PCGames.de)

Im Wesentlichen: eine Videospielmesse. Nichtsdestotrotz tauchen ebenso zuverlässig wie die mannigfaltigen Meinungsschnipsel zu den neuesten Hard- und Software-Veröffentlichungen anlässlich jedes größeren Messe-Events auch Bildstrecken mit mal mehr, mal weniger knapp bekleideten Damen auf, deren Bezug zum beworbenen Produkt oftmals nicht einmal mehr mit Wohlwollen und zugekniffenen Augen ersichtlich ist.

Die lokale Frauenquote und ihren Umsatz steigernd – so jedenfalls die Theorie – entsenden die Vertriebe alljährlich Heerscharen junger Frauen, um den Durchschnittsspieler anzulocken, der dem Mythos zufolge nach wie vor weiß, männlich, heterosexuell und chronisch unterfickt ist. Auch zahlreiche Vertreter prominenter Fachpublikationen schleichen gierig um den Honigtopf. Gestandene Spiele-Journalisten outen sich in ihren kulturell wertvollen Rückblicken auf die längsten Beine und die größten Titten selbst als pubertär und übereifrig auf sexuelle Stimuli reagierend – im Wesentlichen also als Opfer jener Marketing-Mechanismen, hinter deren aufreizende Fassade zu blicken ihre Aufgabe ist oder sein sollte. Stattdessen werden in den Bildfolgen, deren Inhalte sich, ebenso wie die sekundären Geschlechtsmerkmale der Messe-Hostessen, nur selten voneinander unterscheiden, stets auch die eben dort wohlplatzierten Logos neuer Titel und altbekannter Firmen eingebunden.

Dass angesichts der immer häufiger diskutierten Frage nach Sexismus in Spielen noch immer Bild- und Videomaterial mit Titeln beworben wird, die nie spürbar vom journalistischen Klassiker „Die heißesten Messe-Babes“ abweichen, ist nicht nachvollziehbar. Während an der einen Stelle Spieler_innen wie Entwickler_innen darum bemüht sind, stereotype Darstellungsformen endlich zu überwinden und Frauen – sei es in Virtualität oder Realität – einen festen Platz einzuräumen, der nicht bloß der Zuschaustellung weiblicher (bzw. der Attraktion männlicher) Sexualität dient, wird Weiblichkeit zugleich mit unveränderter Beharrlichkeit als plumpes Marketing-Material instrumentalisiert und dieses Vorgehen beunruhigend selten hinterfragt.

Während die Tatsache, dass in der internationalen Fachpresse der Anteil entsprechender Artikel im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist, eben diesem intensiven Diskurs geschuldet sein könnte, ist der Blick auf die deutsche Medienlandschaft ernüchternder: Zwar hat die Prominenz von Galerien, die sich auf die Zurschaustellung nackter Haut konzentrieren, merklich abgenommen – etwa im Falle von GamersGlobal und GameOne, die auf die Einbindung entsprechender Inhalte verzichtet haben – doch grade bei denjenigen, die sonst nicht müde werden, die institutionalisierte Kompetenz ihrer Redaktionen vehement zu verteidigen, hat sich nur wenig geändert. Was in themenbezogenen Publikationen des Springer-Verlags nicht überraschen mag, wird hier erstaunlicherweise nicht nur quantitativ über-, sondern im Niveau deutlich unterboten.

Unsere Redakteure waren sich nicht zu schade, die Kamera voll draufzuhalten und die netten Damen aus jedem möglichen Winkel abzufilmen, bevor sie von den Sicherheitskräften der Veranstalter in einem Hinterzimmer eingeschüchtert und anschließend der Messe verwiesen wurden.“ (Quelle: PCGames.de)

Wenn sexuelle Belästigung als humorvolle Anekdote präsentiert wird, verabschiedet sich nicht nur der journalistische Anspruch, sondern auch das Moralempfinden. Wenn den Messe-Hostessen keinerlei Privatsphäre zugestanden und das beharrliche Eingreifen der Sicherheitsdienste bei deren offensichtlicher Übertretung als spaßbremsende Maßnahme deklariert wird, erscheint die Grenze von Fleischbeschau zum Stalkertum fließend. Dass Bildergalerien unverhohlen als „Lustgrotten“ präsentiert werden, steigert das generelle Unbehagen ins Unermessliche.

So verkommen Internetseiten über Video- und Computerspiele saisonweise zu Plattformen, auf denen sowohl Sexismus als auch dem längst totgeglaubten Klischee nerdiger, notgeiler Spieler ein fester Platz eingeräumt wird. Auf diese Weise schieben die Redaktionen nicht nur weibliche Interessenten ins Abseits, sondern bestärken effektiv gegenüber ihrer Leserschaft präsente Vorurteile – Vorurteile, die sie in anderen Diskursen aufs heftigste verneinen.

Obwohl dieser Trend insgesamt rückläufig ist, demonstrieren ausgerechnet die auflagenstärksten unter den deutschsprachigen Magazinen eine deutliche Tendenz zur konservativ-sexistischen Degradierung von Frauen zu dekorativen Elementen, die angesichts gleichzeitiger Bemühungen, in der Sexismus-Debatte mitzuwirken, schizophren erscheint. Abermals wird deutlich, dass die lokalen Fachpublikationen der internationalen Konkurrenz weder visuell noch inhaltlich standhalten können, und sich dieser Tatsache entweder nicht bewusst, oder resignierend dazu übergangen sind, im Stillstand zu verharren, anstatt die beständige Weiterentwicklung des Mediums „Spiel“ in sich zu reflektieren.

Es ist an der Zeit, endgültig Abstand von dem Gedanken zu nehmen, dass etwas, „was seit Urzeiten dazugehört“, bestehen bleiben muss. Würden wir diesem Prinzip konsequent folgen, gäbe es keinerlei Fortschritt: Weder sozialen noch technischen. Und das kann nicht ernsthaft in unser aller Interesse sein. Der Wunsch nach Veränderung zeigt sich immer häufiger auch in der Spiele-Branche und in den damit verknüpften Medien. Die Messe-Betreiber der PAX und der Eurogamer-Expo haben sich explizit dagegen entschieden, den Einsatz der „Booth Babes“ zu gestatten und damit ein Zeichen gesetzt: Für eine Rückbesinnung auf die zu bewerbenden Spiele-Inhalte und gegen Sexismus. Nun gilt es, diesen Umbruch voranzutreiben und der irrigen Annahme, dass nur die Nachfrage entsprechende Angebote generiere, etwas entgegenzusetzen.

Das Medium entwickelt sich weiter, wird erwachsen. Es ist daher an der Zeit, die jugendlichen Altlasten abzulegen, auf dass der künstlich erhaltene Bruch zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit endlich überwunden und der Fokus wieder auf etwas gelegt werden kann, was gute Spiele auch ohne die plumpe Instrumentalisierung von Sexualität generieren sollten: Freude am Spiel.

Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen.