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Random Encounters: Striptease

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Als kürzlich ein Saunaclub meine gesamte Nachbarschaft mit riesigen Werbeplakaten volltapezierte und „eine große Auswahl heißer Girls“ versprach, verlieh eine anonyme Person ihrem Ärger darüber Ausdruck, indem sie auf jedes einzelne davon eine Notiz mit folgenden, großgedruckten Worten klebte: „Wir Frauen sind keine Ware“. Doch in der allgemeinen Wahrnehmung werden Sexualdienstleisterinnen allzu häufig mit Objekten gleichgesetzt, das gilt insbesondere für Stripperinnen.

Das 2009 von Stephen-„Increpare“-Lavelle veröffentlichte Spiel Striptease bezieht sich auf diese Problematik und mag nach sechs Jahren sicherlich nicht mehr als neu gelten, an seiner Aktualität aber hat sich nichts geändert. Lavelle bedient sich einer simplen Spielmechanik, um sehr eindringlich Stellung zum Thema zu beziehen, während durch Texte vermittelte Informationen in den Hintergrund treten. In einem kleinen, rechteckigen Fenster ist eine kantige Frau abgebildet, links daneben die gleiche Figur in fragmentierter Form.

Per Tastendruck müssen sämtliche Puzzleteile und mit ihnen jene Frau in vorgegebener Reihenfolge wieder zusammengesetzt werden. Der Fokus liegt dabei auf einzelnen Körperpartien: Der Brust, dem linken Arm, der Hüfte. Fügt man den falschen Teil zusammen, wird man mit Punktabzug bestraft; folgt man hingegen den Vorgaben, entledigt sich die Stripperin mit jedem rekonstruierten Part des Kleidungsstücks, das ihn zuvor bedeckt hat. Am Ende ist sie in beiden Fenstern nackt und vollständig zu sehen. Dennoch erscheint sie nicht mehr als Person, als menschliches Ganzes, sondern als Zusammenstellung von kleinen Teilen, die hinsichtlich ihres erotischen Ausdrucks zu bewerten sind. Sie wird objektifiziert.

Dass nicht die eigentliche Dienstleistung des Strippens, sondern die allzu oft damit verknüpfte Dehumanisierung das Problem ist, legt Striptease nachfolgend dar. Während in den ersten beiden Leveln, untermalt von fiepsender Videospielmusik der titelgebende Akt vollzogen wird, nimmt das Spiel gleich darauf eine drastische Wendung. Denn die Protagonistin wird, vor der Tür des Clubs auf eine Kollegin wartend, von einem Kunden belästigt und schließlich vergewaltigt.

Im dritten und letzten Level gilt es erneut, die nun mit Wunden und Flecken übersähte Frau zusammenzusetzen – diesmal aber ist sie gleich zu Beginn nackt und zieht sich, Teilchen für Teilchen, wieder an, bedeckt sich mit einem dicken Pullover und einer langen Hose. Der ursprünglich zum Aufbau sexueller Spannung genutzte Prozess des Puzzelns erhält damit eine ganz neue Konnotation, und wer vorher in der Rolle des Voyeurs den nackten Körper der jungen Frau genoss, wird nun versuchen, ihn schnellstmöglich zu verdecken. Vielleicht aus Mitleid. Vielleicht, um mit den Spuren der Tat auch die Tat selbst zu vertuschen.

“Wir Frauen sind keine Ware”
. Nach etwa einer Woche waren die Zettel mitsamt der Ursache des Anstoßes wieder verschwunden und an ihre Stelle trat Werbung für Orangensaft, Mobiltelefone, Urlaubsreisen. Ob die Urheberin der Notizen jemandem zum Umdenken bewegt hat, werde ich wohl nie erfahren – ebenso wenig, ob der Italiener, der auf Lavelles Homepage den Kommentar “Hi, we want more girls ;-)” hinterließ, späterhin seinen Fehler bemerkte.

Das Opfer ist niemals der Täter: Freshman Year

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Du kannst etwas dafür tun, du kannst etwas dagegen tun”, so lautete der Claim in einem Werbespot der ungarischen Polizei, der im November des vergangenen Jahres auch in die deutschen Schlagzeilen geriet. Darin zu sehen waren drei junge Frauen, die sich auf eine Party vorbereiten – vortrinken, knappe Kleider und High-Heels anziehen – und sich lasziv vor der Kamera inszenieren. Am Ende des Abends sitzt eine von ihnen mit zerissener Kleidung und verschmiertem Make-Up apathisch dreinblickend in einer dunklen Gasse. Die Botschaft: Wer sexuell belästigt oder vergewaltigt wird, ist selbst dafür verantwortlich.

Dieses „victim blaming“ ist weit verbreitet, betrifft nicht nur Vergewaltigungsopfer, sondern vielerorts auch den Schulalltag und mit ihm minderjährige Mädchen, die geschlechtsspezifischen Dresscodes folgen müssen. Dass Situationen wie die oben beschriebene aber in Wirklichkeit oft unumgänglich und nicht auf ein Detail, ein bestimmtes Kleidungsstück zurückzuführen sind, verdeutlicht Nina Freeman in Freshman Year.

Das autobiografisch gefärbte Point’n’click-Adventure gewährt einen Einblick in die Erfahrungen einer Studienanfängerin, die sich eines Abends mit ihrer besten Freundin zum tanzen verabredet. Als letztere jedoch auf sich warten lässt, gerät die junge Frau in Bedrängnis – und das immer wieder, unabhängig davon, für welches Outfit sie sich anfänglich entscheidet oder wie viel sie trinkt. Handlungsspielraum gibt es zwar wenig, aber gerade die Tatsache, dass die wenigen, zum Teil stark differierenden Optionen immer zum gleichen Ergebnis führen, hinterlässt ein Gefühl der Hilflosigkeit und einen bleibenden Eindruck. Durch die mit schwungvollem Strich gemalten Bilder von Laura Knetzger wirken die an sich statischen Szenen lebendig, Stephen Lawrence Clarks Musik unterstreicht subtil die jeweils vorherrschende Atmosphäre.

Freshman Year ist ein extrem kurzes, rohes Spiel und gerade deshalb so eindringlich. Es ist ein wichtiges Statement zu der weit verbreiteten, irrigen Ansicht, sexuelle Gewalt ließe sich verhindern, indem die potenziellen Opfer ihr Verhalten änderten und nicht die Täter. Eine Erkenntnis, zu der hoffentlich auch die ungarischen Polizeibeamten nach der anhaltenden Kritik an ihrer Videobotschaft gelangt sind.

Gaming In Color: Queerdenker

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Dass sich die Videospielbranche durch eine Hegemonie der Heterosexualität definiert, zeigt sich auch fast sechzig Jahre nach der Erfindung des ersten Videospiels noch. Mit der Öffnung des Mediums für eine größere Zielgruppe und der zunehmenden Verfügbarkeit technischer Mittel für die Spieleentwicklung, wurde diese Basis in jüngster Vergangenheit zwar spürbar rissig — fernab der kleinen, mühsam herausgemeißelten Einbuchtungen aber gibt es nach wie vor nur wenig Rückzugsraum für Menschen, die homo-, bi-, trans- oder intersexuell sind.

Das ist kaum verwunderlich, bediente sich die Industrie doch über Jahrzehnte hinweg eines idealisierten Männerbildes, das körperliche Stärke und Erfolg bei den Frauen ins Zentrum rückte, um den alltagsgebeutelten Nerds vor ihren heimischen Fernsehern durch Ermächtigungsfantasien ein wenig Abwechslung zu bieten. Wie sehr es daran allerdings in den Augen jener mangelt, die sich physisch oder psychisch nicht mit diesen heteronormativen Abziehbildern identifizieren können, zeigt die Dokumentation Gaming In Color. Nach der erfolgreichen Kickstarter-Finanzierung bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht, jedoch zunächst nur im Rahmen von Festivalprogrammen und auf der eigenen Webseite per Stream verfügbar, wurden in dieser Woche neue Vertriebswege erschlossen, unter anderem iTunes, Google Play und die Online-Netzwerke von PlayStation und Xbox.

Deren Schöpfer setzen nun also dazu an, ihrer klaustrophobisch kleinen Nische zu entkommen und möglichst viele Menschen anzusprechen – demnächst auch über Steam. Dass dieser Schritt ein ungemein wichtiger ist, geht aus den filminternen Interviews mit acht Expert_innen aus Spieleentwicklung, -forschung und -journalismus hervor, die – sich allesamt als queer identifizierend – von ihren professionellen Erkenntnissen und persönlichen Spielerfahrungen berichten. Sehr gelungen betonen sie dabei zunächst die Besonderheiten des Mediums, vom intensiven Eintauchen in fremde Welten bis hin zum damit verbundenen Identifikationsprozess mit Menschen und Lebensentwürfen, zu denen man sonst wenig Kontakt hat.

So erzählt George Skleres, Spieleentwickler bei Riot Games, sichtlich begeistert, wie ihm Spiele Sozialisierungsprozesse erleichterten und sogar, durch Strategiespiele wie “Warcraft II” und “Sim City”, einen ersten Einblick in die Welt der Finanzen boten, während Colleen Macklin einen nüchterneren Ansatz wählt und von einer notwendigen Vertrautheit mit spiel- wie gesellschaftsinternen Systemen spricht. Geschickt ist das in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird so deutlich, wie wichtig ein erleichterter Zugang zum Medium ist und zum anderen, dass LGBT-Menschen sich von anderen zunächst nur durch ihre Sexualität unterscheiden und ebenso euphorische Nerds sein können wie heterosexuelle Jungen.

Was zunächst überflüssig, da selbstverständlich erscheinen mag, offenbart seine Notwendigkeit durch einen Einblick in die Darstellung von Homo- und Transsexualität in Spielen: Allzu oft dient die “abweichende” Sexualität als definierendes Merkmal und wird lediglich um mentale Versehrtheit, Sadismus und Brutalität ergänzt. Wie auch oft bei der Darstellung “anderer” Ethnien der Fall, erfahren alle Abweichungen von einem willkürlich gesetzten Status Quo eine negative Repräsentation, die der eigentlichen Zielgruppe zur Rückversicherung der eigenen Normalität dient. Dass vergleichbare Prozesse auch in den “gay communities” ablaufen, ist eine für manche sicherlich überraschende Erkenntnis, auf die Gaming In Color stattdessen seinen Fokus legt.

So ist von einem doppelten “coming out” die Rede, das queere Spieler_innen durchleben müssen: Dem als nicht-heterosexueller Mensch und jenem als Nerd, der sich sowohl innergesellschaftlich als auch in der LGBT-Gemeinschaft potenziell Schmähungen ausgesetzt sieht, da gerade unter homosexuellen Männern ein Körperkult existiert, in dem hagere oder füllige Menschen kaum Platz finden. Die frustrierende Erkenntnis, weder in der einen noch der anderen Szene bedingungslos akzeptiert zu werden, veranlasste Matt Conn dazu, 2012 mit der “GaymerX”-Convention eine Veranstaltung ins Leben zu rufen, die sich explizit an LGBT-Spieler_innen richtet (aber ebenso offen ist für Menschen aller anderen sexuellen Vorlieben und Identitäten). Anders, als in einem Großteil übriger Branchenveranstaltungen, wird die vermeintliche Abweichung hier zur Norm und so ein sicherer Ort für jene geschaffen, die sich andernorts doppelter oder gar dreifacher Diskriminierung ausgesetzt sehen.

Diese Tendenz zu ausgeprägter Toleranz zeigt sich auch in der kritischen Analyse der Zustände außerhalb solcher Zufluchtsorte. Überwiegend sachlich legt etwa Spieleentwicklerin Naomi Clark dar, woher die mangelnde Akzeptanz und bisweilen offene Feindseligkeit der heterosexuellen Spielerschaft rührt: Wer sich plötzlich mit politischen Problemen auseinandersetzen muss, denen er durch das Spielen explizit zu entkommen versucht, reagiert ablehnend. Wer noch nie Kontakt zu einem homo- oder transsexuellen Menschen hatte, kann dessen spezielle Nöte natürlich kaum nachvollziehen. Diese Nüchternheit ist wichtig, weil sie zeigt, dass die Sorgen aller eine Daseinsberechtigung haben und ein offener Dialog möglich ist. So auch auf einer Messe wie der “GaymerX”.

Nun ist dem Film allerdings anzumerken, dass Conn als Produzent ebenso wie Regisseur Philip Jones darum bemüht war, die gemeinsam veranstaltete Convention positiv hervorzuheben. Die letzte Viertelstunde des 62-minütigen Films ist fast ausschließlich eben dieser gewidmet und mutiert schnell zu einem eigenen Hochglanz-Imagefilm, in dem Messebesucher_innen in die Kamera lächeln und herunterbeten dürfen, was an dieser Veranstaltung so einzigartig toll ist. Angesichts ihrer Bedeutung für die US-amerikanische LGBT-Gemeinschaft und der offensichtlich authentischen Freude, kann man das aber durchaus verzeihen, zumal der positive Ausblick als Kontrast zu den zuvor deprimierenden Einsichten wohl als notwendig erachtet wurde.

Schade ist nur, dass es anderen, wichtigen Themen hierdurch an Präsenz fehlt. Dass der Film recht deutlich von einer männlich-homosexuellen Perspektive dominiert wird, wäre zu verschmerzen, wenn nicht andere Sichtweisen hierdurch schlicht unter den Tisch fallen würden. Zwar sind unter den Interviewpartner_innen zwei lesbische Frauen, deren spezifische Erfahrungen aber werden kaum thematisiert. Das ist insbesondere deshalb problematisch, weil die an sich gelungene Einbindung von Youtube-Kommentaren den Eindruck erzeugt, weibliche Homosexualität würde per se offener und positiver aufgenommen, als männliche. Warum das so sein könnte, bleibt jedoch unhinterfragt.

Dabei gelten lesbische Romanzen gemeinhin nur dann als tolerierbar, wenn man sie im Sinne männlicher Heterosexualität ästhetisch inszenieren kann, wie Pornofilme und Videos über die heißesten Videospiellesben drastisch veranschaulichen. Gänzlich unsichtbar bleiben außerdem bisexuelle Menschen, die auch innergesellschaftlich oft als nonexistent deklariert werden und sich in der LGBT-Gemeinschaft einer speziellen Diskriminierung ausgesetzt sehen, weil sie vielfach als Hochstapler_innen oder unentschlossen gelten.

Dass in einem einstündigen Film nicht jedes Detail ausgeführt werden kann, ist klar. Warum jedoch eine Produktion, die sich der Sexualitäts- und Identitätsvielfalt verschrieben hat, ganze Themenkomplexe derart vernachlässigt, erschließt sich nicht. So bietet Gaming In Color einen sehr gelungenen Einblick in die Probleme vor allem homosexueller Menschen, kann jedoch seinem eigenen Anspruch nicht genügen, sich der kompletten Gender-Farbpalette zu bedienen. Auch in ihrer Inszenierung überzeugt die Dokumentation nicht immer: Die während der Interviews eingeblendeten, animierten Schaubilder erscheinen als typografische Scheußlichkeiten auf kariertem Untergrund und oftmals wenig aussagekräftig.

Falls sie es doch sind, wird ihr Informationsgehalt von dem der Interview-O-Töne überlagert, sodass es nahezu unmöglich ist, alle relevanten Aussagen gleichzeitig zu erfassen, wenn man nicht zwischendurch pausiert oder zurückspult. Ebenso lästig ist das im Hintergrund vor sich hinplänkelnde Ambient-Gedudel, das sich ewig wiederholt und durch seine auch lautstärkespezifische Indezenz häufig in den Vordergrund drängt.

Doch trotz seiner schwankenden Qualität ist Gaming In Color ein wichtiges und interessantes Werk, weil es einen umfangreichen und zugleich persönlichen Einblick in die Lebenswirklichkeit von Spieler_innen fernab der in Zement gegossenen Triple-A-Zielgruppe bietet. Es sei ihm daher von Herzen gewünscht, dass es sich durch den Vertrieb auf allgemein zugänglichen Plattformen ein größeres Publikum erschließen wird. Für die dringend notwendige Diversifizierung der Darstellung homosexueller Menschen im Spiel wäre dies ein wichtiger Schritt.

Sex in Videospielen: Eine Kulturgeschichte

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Sex ist ein integraler Bestandteil vieler Beziehungen, dennoch fällt gerade in Spielen der Umgang damit oft hochgradig verschämt aus. Die “Sims” verkriechen sich zum gemeinsamen “WooHoo” unter ihren Bettdecken, zaghaft inszenierte Sexszenen in Sci-Fi-Szenarien gelten als skandalös. Warum bloß?

Sex ist überall

Die meisten Menschen haben zeit ihres Lebens immer wieder mal Sex. Sex ist überall präsent: auf Litfaßsäulen, Leinwänden und Youtube, in Musikvideos und Kunstmuseen, in Popsongs und Buchläden und natürlich im Fernsehen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wirft man allerdings einen Blick auf die Videospielhistorie, fällt schnell auf, dass Sex darin eine allenfalls untergeordnete Rolle spielt und, wenn überhaupt, im Rahmen von Skandalen thematisiert wird.

Dabei hält er schon früh Einzug in das Medium. Als Pionier des digitalen Geschlechtsverkehrs gilt das 1981 veröffentlichte “Softporn Adventure” der Firma Sierra On-Line, bekannt auch wegen seines Covers, für das Entwicklerkoryphäe Roberta Williams mit zwei ihrer Kolleginnen nackt in einen Whirlpool steigt. Wenngleich relativ bieder, ist das Spiel zu diesem Zeitpunkt ein Novum. Ein glückloser Mann begibt sich darin auf die Suche nach einer Partnerin, mit der er den Beischlaf vollziehen kann – ein Plot, der später auch als Blaupause für die berühmte “Leisure Suit Larry“-Reihe herhält. Das allererste Mal zieht dessen Protagonist Larry Laffer 1987 aus, um seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Das Spiel mit dem mäßig attraktiven Schwerenöter im weißen Polyesteranzug bietet damals einen zwar oberflächlichen, aber immerhin humorvollen Zugang zum Thema Sexualität, der aufgrund seiner Leichtigkeit auch verklemmtere Menschen anspricht.

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Dieser Artikel ist ursprünglich in der WASD #7 erschienen.

Tanks statt Topmodels – Die Ästhetisierung von Weiblichkeit im Videospiel

Zarya_07© Blizzard Entertainment

Eine kreuzförmige Narbe über dem rechten Auge. Wohldefinierte, tätowierte Oberarme. Und: Pinkes Haar. Aleksandra Zaryanova ist eine von zwei neuen Figuren, die Spieleentwickler Blizzard kürzlich der Heldenriege seines bald erscheinenden Titels „Overwatch“ hinzufügte. Als erste Bilder der muskulösen Soldatin an die Öffentlichkeit gelangten, war die Begeisterung groß, denn Frauen wie diese sind in Spielen Ausnahmeerscheinungen.

Ebenso außergewöhnlich wie “Zarya” selbst ist ihre Entstehungsgeschichte. Als Blizzard im November des vergangenen Jahres auf der hauseigenen Messe in Kalifornien die erste neue Marke seit 17 Jahren präsentierte, versprach die Firma nicht nur in diesem Sinne industrierelevante Neuerungen. Chris Metzen, der Vice President of Creative Development, berichtete während einer Pressekonferenz von einem Gespräch mit seiner Tochter, das ihn nachdenklich stimmte. Denn nachdem die beiden gemeinsam einen „World of Warcraft“-Trailer gesehen hatten, fragte ihn sein Kind, warum bloß alle weiblichen Charaktere Badeanzüge tragen würden. Und er wusste darauf keine Antwort. Klar war für ihn daraufhin nur, dass sich etwas ändern musste – und dass der neue Titel „Overwatch“ eine geeignete Plattform dafür sein würde, Rollenvorbilder für Frauen vorzustellen, die vom traditionell sexualisierten Ideal abweichen. „We want girls to feel kick-butt. Equally represented“, so Metzen.

Und tatsächlich: Fünf der insgesamt fünfzehn anschließend vorgestellten, spielbaren Figuren waren weiblich – immerhin ein Drittel und damit deutlich mehr, als es sonst in Spielen üblich ist. Von einer ausgeglichenen Besetzung konnte damit zwar keine Rede sein, doch die dahinterstehende Absicht war als Fortschritt zu werten. Nur legte ein schweifender Blick über die farbenfrohe Gruppe legte ein ganz anderes Problem offen: Die Gleichsetzung von Weiblichkeit und Schönheit. Denn während die männlichen oder – auf den ersten Blick – geschlechtlich uneindeutigen Figuren ein breites Spektrum von Körpergrößen, -formen und individuellen Persönlichkeiten abdecken, sind jene fünf Frauen durchweg jung und grazil, ihre Körper variieren nur geringfügig voneinander. Als Ausnahme mag Pharah wahrgenommen werden, die in ihrer massigen, blauen Rüstung einen Vergleich mit Samus Aran nicht zu scheuen bräuchte. Stellt man sie allerdings ihren schwerbepanzerten, männlichen Pendants gegenüber, wirkt die zunächst beeindruckende Gestalt geradezu winzig. Sie mag als Besonderheit erscheinen – allerdings nur in dem eng umrissenen, ästhetischen Rahmen, der Frauen zugestanden wird.

Nun ist dieses kein videospielexklusives Phänomen, vielmehr spiegelt das Medium wider, was in unserer Gesellschaft als schön wahrgenommen und reproduziert wird. Die Idealisierung einer jugendlichen Makellosigkeit, die kein reales Vorbild hat, sondern durch und durch künstlich ist, führt zur Normierung einer unerreichbaren Form von Attraktivität. Und so verwundert es nicht, wenn selbst Spieleentwickler_innen mit einem kritischen Bewusstsein für stereotype Darstellungen von Weiblichkeit ein solcher faux-pas unterläuft. Auch sie unterliegen medialen Einflüssen, die ihr Welt- und Menschenbild prägen.

Seltsam ist es dennoch, dass solche Fehler immer wieder passieren, denn im Grunde würde ein kurzer Blick aus der Haustüre genügen, um die tatsächliche visuelle Bandbreite zu erkennen, die der menschliche Körper abdeckt. Sicher: Klassische Heldenfiguren werden bewusst idealisiert, sind innerlich wie äußerlich makellos. Analysiert man jedoch die Darstellung von Männlichkeit in diesem wie auch anderen Medien, zeigt sich eine große Auswahl alternativer Entwürfe, die dem Marketingideal gegenübergestellt wird: Der liebenswerte, schlacksige Nerd rettet die Welt, der untersetzte Klempner seine Prinzessin, und der von Alkohol- und Drogenmissbrauch gezeichnete Antiheld bewältigt, wenngleich latent mürrisch und immer mit einem zynischen Spruch auf den Lippen, pflichtbewusst seine Missionen.

Mehr noch können maskulin konnotierte Figuren monströs erscheinen – so auch Winston, das durch seinen Namen und seine Stimme eindeutig als männlich zu identifizierende Quotentier in „Overwatch“. Feminine Gegenbeispiele dieser Art gibt es so gut wie keine. Ausnahmen sind überwiegend an den Wegesrändern gigantischer Rollenspielwelten und in Beat’em-Ups zu finden. So unter anderem in „Bloody Roar“, dessen Frauenfiguren sich jedoch überwiegend als rotäugige Häschen, flauschige Catgirls und Fetischkleidung tragende Füchse entpuppen. Lediglich Mitsuko, deren tierisches Alter-Ego in Form eines Wildschweins daherkommt, bricht bereits in ihrer menschlichen Form mit allen tradierten Formen femininer Attraktivität. Mehr noch gilt dies für Vertigo aus dem 90er-Jahre-Prügler „Primal Rage“, eine echsenförmige, giftspeiende Göttin, die Jim Sterling vor anderthalb Jahren konsterniert zum einzigen innovativen, weiblichen Charakter der Videospielgeschichte ernannte.

Und im Prinzip hat sich seither nicht viel geändert. Ungeachtet des anhaltenden Diskurses über die Darstellung von Weiblichkeit im Spiel, konzipiert eine Mehrheit der Character Designer – vielfach auf Anweisung ihrer Vorgesetzten – Männer im Hinblick auf ihre Rolle im Spiel und Frauen als Dekoobjekte. In diesem Sinne aufgefallen ist auch Blizzard nicht erst mit „Overwatch“. Als das Unternehmen ankündigte, die nach fast fünfzehn Jahren etwas angestaubte Grafik seines MMORPGs „World of Warcraft“ überarbeiten zu wollen, zeigten die ersten Character Sheets Männer mit deutlich erkennbaren Charakterzügen, Makeln und bisweilen grotesker Anatomie. Und schöne Frauen. Selbst die Orc- und Trolldamen wirkten inmitten ihrer buckeligen Verwandschaft erstaunlich filigran und präsentierten apathisch dreinblickend die Frisurentrends des Jahres.

Einiges deutet darauf hin, dass solche Darstellungen von der zahlenden Kundschaft gewünscht werden – und das auch von deren weiblichem Anteil. Studien zeigten in der Vergangenheit wiederholt, dass ein eng gefasstes Schönheitsideal zwar zu einer negativen Selbstwahrnehmung führen kann, viele Frauen ihre idealisierten und auch sexualisierten Abbilder aber bevorzugen, insbesondere in Spielen. Zurückführen lässt sich das auf sozial etablierte Vorstellungen von Weiblichkeit, die verinnerlicht und als erstrebenswert wahrgenommen werden, sowie auf die in den Medien weit verbreitete Verknüpfung von Stärke und Sexiness. Wer dem Ideal im Arbeits- und Beziehungsalltag nicht entsprechen kann, adaptiert es eben im digitalen Raum.

“Such a positive reaction is understandable given that in our pop culture it is often the woman in leather, who is sexualized to some degree, that is the strong, active, independent and competent fighter alongside her male counterparts (Brown, 2004). It may be that the women who picked the hypersexualized character were responding to this common portrayal, interpreting the hypersexualized as the more powerful, and thus the most likely to be successful in the game.” – CarrieLynn D. Reinhard (“Hypersexualism in video games as determinant or deterrent of game play: Do men want them and do women want to be them?”)

Werden schlagkräftige, durchsetzungsfähige Frauen mehrheitlich als üppig proportioniert und weniger üppig bekleidet präsentiert, liegt es nahe, unwillkürlich einen an sich nicht existenten, kausalen Zusammenhang zwischen diesen Eigenschaften herzustellen. Und in Folge dieses nahezu unerreichbare Gesamtkonzept als wünschenswert wahrzunehmen. Eben drum trifft man in MMORPGs allerorten auf zierliche Elfen, bildschöne Kriegerinnen und allenfalls dezent hakennasige Orcs, selbst wenn diese Spiele durch komplexe Charakter-Editoren zumindest punktuell die Möglichkeit bieten, von diesen Standards abzuweichen.

Zuverlässig folgt daher stets der Einwand, dass die Nachfrage das Angebot bestimme, die Konsument_innen selbst für diese Inhalte verantwortlich seien und es ergo gar kein Problem gäbe, dass es zu kritisieren oder gar zu beseitigen gelte. Diese Argumentation aber vernachlässigt den Aspekt der medialen bzw. sozialen Prägung und damit die Tatsache, dass unser Schönheitsempfinden durch äußere Einflüsse maßgeblich mitbestimmt wird. Sie ignoriert, dass mediale Inhalte das wackelige Fundament unserer Selbstwahrnehmung sind und dass wir zum Eskapismus genötigt werden, weil wir uns in unseren unperfekten Körpern nicht mehr wohlfühlen können.

Die Gleichsetzung von Femininität und Schönheit ist eine ebenso weit verbreitete wie willkürliche. Frauen sind nicht per se anmutiger, attraktiver und aufreizender als Männer. Vielmehr hebt diese spezifische Form der Idealisierung Frauen aufgrund ihres zufällig generierten Gen- oder sehr bewusst konzipierten Polygonpools auf ein Podest, von dem sie nicht herunterklettern können, weil es ästhetische Gefälligkeit als höchstes Gut und selbstbestimmtes Handeln als sekundär kennzeichnet. Auch der Wert gestandener Heldinnen bemisst sich nach wie vor an ihrer Körbchengröße, ihren feinen Gesichtszügen und damit an ihrem ästhetischen Marktwert – obwohl der für ihre spielinternen Rollen gemeinhin nicht relevant ist.

Umso wichtiger sind daher Figuren wie „Zarya“, weil sie ein Bewusstsein für diese Probleme und ein offenes Ohr einiger Firmen für die Kritik ihrer Kund_innen erkennen lassen – und sei es nur aus ökonomischen Gründen. Die stämmige Bodybuilderin stellte eine direkte Reaktion auf die Unzufriedenheit dar, die angesichts des einseitigen Weiblichkeitsideals in „Overwatch“ an Blizzard herangetragen wurde. Zwar repräsentiert die burschikose Russin ebenfalls ein Stereotyp, das berechtigterweise kritisiert wurde. Wenn nun aber Tür und Tor geöffnet wurden für muskulöse, stämmige, runde und – das ist besonders wichtig – alte Frauen, besteht Hoffnung auf mehr Vielfalt. Und ein Menschenbild in Videospielen, das dem auf unseren Straßen zumindest ansatzweise entspricht. Glatte, weiche Haut, dünne Gliedmaßen und wallendes Haar sind Indikatoren für Attraktivität, aber bei weitem nicht die einzigen. Es gibt so viele Formen der Schönheit und es wird Zeit, dass wir unsere Augen wieder dafür öffnen.

Eine gekürzte und geänderte Fassung dieses Textes wurde bei Zeit-Online veröffentlicht.

Oversexed and underfucked: Nacktheit im Videospiel

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Im Oktober des vergangenen Jahres ging ein leises Raunen durch die Spielelandschaft. Wie ein Schwelbrand verbreitete sich der Mitschnitt einer Spielszene, befeuert auch durch Sonys unbeholfen wirkende Versuche, genau diesen Prozess durch Androhung rechtlicher Schritte zu unterbinden. Doch was war eigentlich der Gegenstand des Anstoßes? Etwas Ungeheuerliches, dessen Anblick Menschen reihenweise in Verzückung oder Schockstarren versetzte, das ob seines skandalösen Naturells diskussionswürdiger kaum sein könnte:

Eine nackte Frau.

Durch die Nutzung einiger Tricks war es jemandem gelungen, die Kameras in Beyond: Two Souls zu rejustieren und so einer ursprünglich cineastisch inszenierten Duschszene die eine oder andere Ganzkörperaufnahme von Protagonistin Jodie zu entlocken. Was für Fans von Ellen Page, die der Spielfigur als reales Vorbild diente, ein besonderer Grund zur Freude gewesen dürfte, warf mit der Frage, ob durch den ungeplanten Nacktaufritt die Persönlichkeitsrechte der Schauspielerin verletzt wurden, ein ganz neues Problem auf. Der beschriebene Fall ist allerdings nicht nur wegen der ungewöhnlichen Debatte um Identität und Menschenwürde in Zeiten des Motion Capturings von Interesse. Bemerkenswert ist auch, dass überhaupt das Bedürfnis entstand, dem Spiel ungeplante Aufnahmen eines Körpers zu entlocken, der nicht einmal Ellens eigener, sondern ein bloßer Platzhalter ist.

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Diese Situationen ist nicht neu, tauchten doch mit den ersten bekannteren Heldinnen der Spielegeschichte auch zahlreiche Möglichkeiten auf, sie von der Last ihrer Kleidung zu befreien. Seither sind vor allem „Nude Patches“ ein weit verbreitetes Mittel, um den vermeintlichen Mangel erotischer Anreize in Spielen auszugleichen. Kaum ein Titel muss ohne entsprechende Modifikationen auskommen, solange die Frauenquote nur hoch genug ist, um die mit der Texturerstellung verbundene Mühe adäquat zu entlohnen. Über die Archive entsprechender Websites eröffnet sich eine völlig neue Welt, eine Welt, in der unsterbliche Soldatinnen barbusig über Schlachtfelder rennen und sich schwertschwingende Kriegerinnen furcht- und kleiderlos auf feuerspeiende Drachen stürzen.

Dass solche ungeplanten Eingriffe in die Spielwelten nicht nur absurde Situationen und Immersionseinbrüche, sondern potenziell auch weitreichende Konsequenzen mit sich bringen, zeigte sich am Beispiel des vierten Teils von Bethesdas The Elder Scrolls-Reihe: Nachdem durch einen Nude Patch offenkundig geworden war, dass das Spiel selbst durch entsprechende Modelle und Texturen das Basismaterial für nackte Brüste bereitstellte, änderte das US-amerikanische „Entertainmet Software Rating Board“ prompt dessen Alterseinstufung – und das, obwohl die Figuren in Oblivion selbst gar nicht nackt auftraten. Grund für die Empörung, den Wunsch, die zarten Teenageraugen zu schützen, war also die revolutionäre Erkenntnis, dass Menschen unter ihrer Kleidung nackt sind.

Noch größere Wellen schlug bekanntermaßen der ausgebliebene Versuch von Rockstar Games, auf Sex als alltäglichen Bestandteil der meisten Partnerschaften aufmerksam zu machen. Die nur durch viel Gefriemel überhaupt zugängliche, da bewusst tief im Programmcode verborgene „Hot Coffee Mod“ legte ein eher unfreiwillig-komisches als die Libodo stimulierendes Minispiel offen, das den Protagonisten und seine Partnerin beim holprigen Geschlechtsakt präsentierte – voll bekleidet und mit ebenso hölzernen Gesichtern wie Dialogen. Als naheliegende Konsequenz folgte die de facto-Verbannung des Spiels aus den Ladenlokalen durch die Neueinstufung als Adults Only-Material, die in den Vereinigten Staaten einer Indizierung gleichkommt. Ein Blick auf die erstaunlich kurze Liste der bisher entsprechend bewerteten Titel zeigt, dass in den seltensten Fällen Gewaltdarstellungen als ausschlaggebend angeführt werden, sondern nahezu immer „Nacktheit“ oder „Sex“ als bestimmende Faktoren auftreten. Die Toleranz für Gewalt geht so weit, dass selbst forcierter Sex eher akzeptiert wird als in allseitigem Einverständnis stattfindender, wie GTA: San Andreas veranschaulicht. Denn während der konsensuelle Geschlechtsverkehr der “Hot Coffee“-Szenen aus dem Spiel entfernt werden musste, um das Prädikat “Mature” zu erhalten und das Spiel somit wieder frei verkaufen zu können, blieb die Option, mit Prostituierten zu schlafen und daraufhin das zuvor gezahlte Geld wieder aus ihnen herauszuprügeln, erhalten.

Was bietet sich also an, um trotz des notwendigen Verzichts auf sexuelle Handlungen Erregung zu erzeugen? Vor allem eine Vielzahl deplatzierter Brüste. Auch in Gegenüberstellung zu den mal mehr, mal weniger amateurhaften Modifikationen, wirken Projekte professionellen Ursprungs nicht zwingend überzeugender. Sex und Nacktheit waren und sind selten mehr als erotische Hüllen, die der Vermarktung uninspirierter Spielmechaniken dienen sollen. In ihrer dezenteren Form haben sie längst Einzug in die gesamte Spieleindustrie gehalten: Allerorten locken vorrangig leichtbekleidete Frauen die mutmaßlich nach wie vor dominierende heterosexuelle, männliche Spielerschaft mit Reizen, die keine Sehnsüchte stillen, sondern neue erzeugen.

Dieser erotische Überfluss erfüllt niemals das ihm eigene Versprechen der Befriedrigung. Stattdessen generiert er eine Kurzzeitstimulierung, der eine erneut zu füllende Leere folgt. Dahinter steht ein kapitalistisches System, das diesen Mangel bewusst aufrechterhält, um durch die Kommerzialisierung von Sex – oder dem, was man dafür hält – Produkte vermarkten zu können, die mit Sex an sich nichts zu tun haben. Und das gilt eben auch für Unterhaltungselektronik. Paradoxerweise unterstützen ausgerechnet konservative Sittenwächter diese systematische Entfremdung von natürlicher Sexualität, indem sie durch reaktionäres In-Grund-und-Boden-Skandalisieren vergleichsweise harmloser Inhalte einen erwachsenen Umgang mit dem Thema konsequent unterbinden, aber genau hierdurch den Wunsch nach sexueller Erfüllung aufrechterhalten, der dann über Umwege gestillt werden muss.

Wie absurd dieser Prozess bisweilen anmutet, verdeutlichte die Reaktion des Senders Fox News auf die Sexszenen in Mass Effect, die als „full on digital nudity“ betitelt, in Wirklichkeit nicht mehr zeigen als nackte Rücken, Hintern und sich dezent abzeichnendes, mal hinter einem angehobenen Arm hervorblitzendes Brustfett. Das Argument der Abstumpfung durch die Konfrontation mit dem Gezeigten schoss gerade hier vollkommen am Ziel vorbei, denn zaghaft angedeuteter, einvernehmlicher Sex, der auf zuvor sorgsam aufgebauter Intimität beruht, bietet denkbar wenig Potenzial für Indifferenz. Stattdessen wohnt ihm die Authentizität des Alltäglichen inne, die Konservative wie auch Marketingstrateg_innen zu fürchten scheinen, denn Intimität ist kostenlos zu haben und, zumindest theoretisch, jederzeit verfügbar.

In einer Gesellschaft allerdings, in der schon ein freigelegter Nippel zum Politikum erklärt wird, ist scheinbar kein Platz für einen unaufgeregten Umgang mit nackter Haut, der Nährboden für Pornografie und erotisches Anschauungsmaterial hingegen umso fruchtbarer, schließlich lassen sich Triebe nicht einfach ausmerzen, und so erhalten die Kritik Übenden den Gegenstand ihrer Kritik selbst aufrecht. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass keine Sättigung eintritt, dass ein Bedarf nach immer mehr nackter Haut besteht und plötzlich auch etwas so Banales wie die tägliche Körperwäsche in ein sinnliches Showreel verwandelt wird. Auch wenn sich die Frage stellt, ob nicht gerade eine schamvoll zurückhaltende und doch eindeutig auf körperliche Inszenierung bedachte Kamerafahrt viel mehr sexuelle Spannung aufbaut, schließlich ist gerade die Verhüllung und der damit einhergehende Raum für Fantasie ein essentieller Bestandteil der Erotik.

Sicher beansprucht sie, ebenso wie die Pornografie, zurecht einen Platz nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Medien. Nichts spricht gegen sexuelle Stimuli, selbst wenn sie durch bloße Fleischbeschau generiert werden. Allein, es mangelt an Alternativen. Während sich insbesondere in der Literatur, aber auch im Film, der bildenden Kunst und der Musik eine immense Vielfalt in der Darstellung von Sexualität entwickelt hat, die der tatsächlichen in nichts außer der realen Interaktion nachsteht, verkommt der Sex im Spiel gemeinhin zum Quick Time Event und der nackte Körper zur Projektionsfläche für die eigenen, unterdrückten Gelüste.

Überschaubar ist die Zahl jener Titel, in denen Sex als besondere Form der Intimität oder sich selbst genügender Zeitvertreib dargestellt wird. Stattdessen wird ein Voyeurismus gefördert, der nicht nur bedingt durch seinen Verbleib auf der Oberfläche des künstlichen Körpers, sondern auch durch die starren Rollenbilder, die er dabei propagiert, reichlich unbefriedigend ist. Das mag auch der Schwierigkeit geschuldet sein, einem so komplexen und auf intensiven Emotionen gründenden Prozess mit begrenzten Mitteln gerecht zu werden, nur scheint es, als würden die meisten Entwickler_innen gar nicht erst versuchen, würdevoll an dieser Aufgabe zu scheitern.

Auch wenn zum Beispiel Seduce Me, von Miriam Bellard und Andrejs Skuja eigentlich als blühender Fleck im sexuellen Brachland erdacht, den eigenen Erwartungen nicht im Ansatz gerecht geworden ist, war es immerhin ein zaghafter Versuch, die Enttabuisierung und damit den Fortschritt in der spielerischen Darstellung von Sex voranzutreiben – ein Vorhaben, dem durch Steams wenig liberalen Umgang mit dem Thema ein dicker Riegel vorgeschoben wurde. So steht einer Flut von instrumentalisierter, nackter Haut ein verschämter Umgang mit dem menschlichen Körper gegenüber, dessentwegen selbst die Sims nur verpixelt in ihre Duschen steigen dürfen und durch den überhaupt erst der Gedanke geschürt wird, dass Sequenzen wie diesen irgendein erotischer Anreiz innewohnen könnte. Es stellt sich daher die Frage, ob die erzwungene Frontalsicht auf Jodie Holmes Körper in jedem Fall ein Resultat unterdrückter Sexualität oder nicht doch nur ein Versuch war, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Dass auf diesem nackten Leib das digitale Abbild von Ellen Pages Kopf prangte und damit die Würde der Schauspielerin missachtet wurde, verleiht ihm einen ebenso faden Beigeschmack wie die zu weiten Teilen pubertären Reaktionen; doch vielleicht lässt sich dieser Anlass nutzen, um das prüde Menschenbild zu hinterfragen, das als Keimzelle für diesen und andere Nude Patches dient.

Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen. [Achtung: NSFW]

E3 2013, Babes & die Spielepresse: Eine Momentaufnahme

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„Was wäre eine Videospielmesse ohne hübsche Damen in aufreizender Kleidung, die sich an den Ständen räkeln?“ (Quelle: PCGames.de)

Im Wesentlichen: eine Videospielmesse. Nichtsdestotrotz tauchen ebenso zuverlässig wie die mannigfaltigen Meinungsschnipsel zu den neuesten Hard- und Software-Veröffentlichungen anlässlich jedes größeren Messe-Events auch Bildstrecken mit mal mehr, mal weniger knapp bekleideten Damen auf, deren Bezug zum beworbenen Produkt oftmals nicht einmal mehr mit Wohlwollen und zugekniffenen Augen ersichtlich ist.

Die lokale Frauenquote und ihren Umsatz steigernd – so jedenfalls die Theorie – entsenden die Vertriebe alljährlich Heerscharen junger Frauen, um den Durchschnittsspieler anzulocken, der dem Mythos zufolge nach wie vor weiß, männlich, heterosexuell und chronisch unterfickt ist. Auch zahlreiche Vertreter prominenter Fachpublikationen schleichen gierig um den Honigtopf. Gestandene Spiele-Journalisten outen sich in ihren kulturell wertvollen Rückblicken auf die längsten Beine und die größten Titten selbst als pubertär und übereifrig auf sexuelle Stimuli reagierend – im Wesentlichen also als Opfer jener Marketing-Mechanismen, hinter deren aufreizende Fassade zu blicken ihre Aufgabe ist oder sein sollte. Stattdessen werden in den Bildfolgen, deren Inhalte sich, ebenso wie die sekundären Geschlechtsmerkmale der Messe-Hostessen, nur selten voneinander unterscheiden, stets auch die eben dort wohlplatzierten Logos neuer Titel und altbekannter Firmen eingebunden.

Dass angesichts der immer häufiger diskutierten Frage nach Sexismus in Spielen noch immer Bild- und Videomaterial mit Titeln beworben wird, die nie spürbar vom journalistischen Klassiker „Die heißesten Messe-Babes“ abweichen, ist nicht nachvollziehbar. Während an der einen Stelle Spieler_innen wie Entwickler_innen darum bemüht sind, stereotype Darstellungsformen endlich zu überwinden und Frauen – sei es in Virtualität oder Realität – einen festen Platz einzuräumen, der nicht bloß der Zuschaustellung weiblicher (bzw. der Attraktion männlicher) Sexualität dient, wird Weiblichkeit zugleich mit unveränderter Beharrlichkeit als plumpes Marketing-Material instrumentalisiert und dieses Vorgehen beunruhigend selten hinterfragt.

Während die Tatsache, dass in der internationalen Fachpresse der Anteil entsprechender Artikel im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist, eben diesem intensiven Diskurs geschuldet sein könnte, ist der Blick auf die deutsche Medienlandschaft ernüchternder: Zwar hat die Prominenz von Galerien, die sich auf die Zurschaustellung nackter Haut konzentrieren, merklich abgenommen – etwa im Falle von GamersGlobal und GameOne, die auf die Einbindung entsprechender Inhalte verzichtet haben – doch grade bei denjenigen, die sonst nicht müde werden, die institutionalisierte Kompetenz ihrer Redaktionen vehement zu verteidigen, hat sich nur wenig geändert. Was in themenbezogenen Publikationen des Springer-Verlags nicht überraschen mag, wird hier erstaunlicherweise nicht nur quantitativ über-, sondern im Niveau deutlich unterboten.

Unsere Redakteure waren sich nicht zu schade, die Kamera voll draufzuhalten und die netten Damen aus jedem möglichen Winkel abzufilmen, bevor sie von den Sicherheitskräften der Veranstalter in einem Hinterzimmer eingeschüchtert und anschließend der Messe verwiesen wurden.“ (Quelle: PCGames.de)

Wenn sexuelle Belästigung als humorvolle Anekdote präsentiert wird, verabschiedet sich nicht nur der journalistische Anspruch, sondern auch das Moralempfinden. Wenn den Messe-Hostessen keinerlei Privatsphäre zugestanden und das beharrliche Eingreifen der Sicherheitsdienste bei deren offensichtlicher Übertretung als spaßbremsende Maßnahme deklariert wird, erscheint die Grenze von Fleischbeschau zum Stalkertum fließend. Dass Bildergalerien unverhohlen als „Lustgrotten“ präsentiert werden, steigert das generelle Unbehagen ins Unermessliche.

So verkommen Internetseiten über Video- und Computerspiele saisonweise zu Plattformen, auf denen sowohl Sexismus als auch dem längst totgeglaubten Klischee nerdiger, notgeiler Spieler ein fester Platz eingeräumt wird. Auf diese Weise schieben die Redaktionen nicht nur weibliche Interessenten ins Abseits, sondern bestärken effektiv gegenüber ihrer Leserschaft präsente Vorurteile – Vorurteile, die sie in anderen Diskursen aufs heftigste verneinen.

Obwohl dieser Trend insgesamt rückläufig ist, demonstrieren ausgerechnet die auflagenstärksten unter den deutschsprachigen Magazinen eine deutliche Tendenz zur konservativ-sexistischen Degradierung von Frauen zu dekorativen Elementen, die angesichts gleichzeitiger Bemühungen, in der Sexismus-Debatte mitzuwirken, schizophren erscheint. Abermals wird deutlich, dass die lokalen Fachpublikationen der internationalen Konkurrenz weder visuell noch inhaltlich standhalten können, und sich dieser Tatsache entweder nicht bewusst, oder resignierend dazu übergangen sind, im Stillstand zu verharren, anstatt die beständige Weiterentwicklung des Mediums „Spiel“ in sich zu reflektieren.

Es ist an der Zeit, endgültig Abstand von dem Gedanken zu nehmen, dass etwas, „was seit Urzeiten dazugehört“, bestehen bleiben muss. Würden wir diesem Prinzip konsequent folgen, gäbe es keinerlei Fortschritt: Weder sozialen noch technischen. Und das kann nicht ernsthaft in unser aller Interesse sein. Der Wunsch nach Veränderung zeigt sich immer häufiger auch in der Spiele-Branche und in den damit verknüpften Medien. Die Messe-Betreiber der PAX und der Eurogamer-Expo haben sich explizit dagegen entschieden, den Einsatz der „Booth Babes“ zu gestatten und damit ein Zeichen gesetzt: Für eine Rückbesinnung auf die zu bewerbenden Spiele-Inhalte und gegen Sexismus. Nun gilt es, diesen Umbruch voranzutreiben und der irrigen Annahme, dass nur die Nachfrage entsprechende Angebote generiere, etwas entgegenzusetzen.

Das Medium entwickelt sich weiter, wird erwachsen. Es ist daher an der Zeit, die jugendlichen Altlasten abzulegen, auf dass der künstlich erhaltene Bruch zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit endlich überwunden und der Fokus wieder auf etwas gelegt werden kann, was gute Spiele auch ohne die plumpe Instrumentalisierung von Sexualität generieren sollten: Freude am Spiel.

Dieser Text ist ursprünglich auf Superlevel.de erschienen.

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