January 2016 archive

Arboreity – Concept Art

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Hierbei handelt es sich um Konzeptzeichnungen für ein Projekt, das ich am Cologne Game Lab zusammen mit einigen Kommiliton_innen entwickelt habe. Die Idee besteht darin, das Sitzen in Bäumen wiederzuentdecken – eine Beschäftigung, der immer weniger Menschen nachgehen (sei es aus Zeitmangel oder Sicherheitsbedenken). Dementsprechend reduziert sich die Handlungsfreiheit im Spiel darauf, Perspektivwechsel zu vollziehen und das Geäst, den Stamm oer auch die eigenen Beine zu begutachten. Der Fokus des Spiels liegt auf der Atmosphäre, die Grafik allerdings ist bewusst abstrakt gehalten, denn “Arboreity” soll keine Simulation sein, die den eigentlichen Akt ersetzt, sondern vielmehr dazu animieren, wieder häufiger auf Bäume zu klettern.

Random Encounters: Kindness Coins

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Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, wie verquer unsere Vorstellung von Romantik bisweilen ist und wie oft gängige Missverständnisse unhinterfragt weitergetragen werden – insbesondere in Videospielen. Rette ich die Prinzessin, schenkt sie mir ihr Herz. Bin ich freundlich und interessiert, ist das der sichere Weg zur Partnerschaft. Kurzum: Füttere ich einen Menschen mit Kindness Coins, purzelt Zuneigung exakt so verlässlich aus ihm heraus wie der Schokoriegel aus dem Süßigkeitenautomaten.

Sich diesem Problem ausgerechnet durch eine Dating-Sim anzunähern, erscheint eigenwillig, ist doch gerade dieses Genre berühmt-berüchtigt für seine einseitige Darstellung von Zwischenmenschlichkeit. Arden Kehoe allerdings, selbst glühender Fan entsprechender Spiele, dekonstruiert deren Grundprinzipien sehr effektiv durch eine simple Entscheidung: Die Hauptfigur von Kindness Coins ist kein schüchterner, junger Mann, der auszieht, seine große Liebe zu finden – sondern seine große Liebe.

Das Objekt wird so zum Subjekt. Florence, jene gehörnte Angebetete, verleiht gleich zu Beginn ihrer Irritation darüber Ausdruck, dass ihr männlicher Counterpart sich seltsam zu verhalten und überall dort aufzutauchen scheint, wo sie sich aufhält. Dass er sogar dem Uni-Musikklub beigetreten ist, obwohl er offensichtlich noch nie ein Instrument in den Händen gehalten hat. Dass er immer, wirklich immer freundlich und zuvorkommend ist.

Florence indes, so zeigt sich, hat ganz eigene Interessen und Hoodieträger John ist keines davon, so sehr er sich auch bemüht. Als die beiden dann auf einer Party aufeinandertreffen und sich der mit mangelnder Zuneigung Gestrafte ausgiebig über diese Ungerechtigkeit auslässt, hält ihm die Holde eine Standpauke, die sich gewaschen hat und sehr prägnant zusammenfasst, weshalb die Menschen-Automaten-Analogie nicht aufgehen kann.

Dass die wenigen, frei wählbaren Antworten keinerlei Einfluss auf den Fortschritt der Geschichte nehmen, mag zunächst ernüchtern und dem Zeitdruck des Game Jams geschuldet sein, für den das Spiel entwickelt wurde; tatsächlich ergibt diese Einschränkung jedoch auch inhaltlich Sinn, denn sie unterstreicht, dass wir nicht immer die volle Kontrolle über uns selbst haben. Und mehr noch, dass wir uns nicht aussuchen können, wen wir lieben, und wen nicht. Damit muss sich schließlich auch John arrangieren, der jedoch bewusst nicht als gekränkter Pick-Up-Artist dargestellt wird. Menschen, so schreibt Kehoe, könnten sich ändern und es sei wichtig, ihnen diese Möglichkeit zuzugestehen. Die “nice guys” dieser Welt zu verteufeln, wäre schon deshalb ein Fehler. Ebenso wichtig ist es, die Auswirkungen gesellschaftlicher Einflüsse und mit ihnen anzuerkennen, dass manch ein Dating-Sim-Protagonist in spe entsprechend handelt, weil er es einfach nicht besser weiß.

Kindness Coins leistet ungeachtet seiner kurzen Dauer von maximal zehn Minuten einen sehr einfühlsamen und humorvollen Beitrag zu dem andauernden Diskurs über menschliche Zweisamkeit. Aus der Kombination von wohl durchdachten Texten und den ausdrucksstarken Illustrationen erwachsen sympathische Charaktere, die man gerne länger durch ihren Alltag begleiten würde. Ganz ohne Hintergedanken, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben. Einfach nur aufgrund des aufrichtigen Interesses an ihrer Persönlichkeit. Diesen Wunsch zu wecken, ist die besondere Stärke des Spiels.

Was Frauen wollen: She Might Think

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Die Frau: Als gebürtige Venusianerin ist ihr die irdische Kunst des Einparkens fremd. Stets stopft sie nur Beilagensalat oder fettreduzierten Joghurt in ihr Lästermaul, denkt derweil insgeheim an Süßigkeiten und danach, weinend, an ihre verlorene Jugend. Trost findet sie allein im exzessiven Erwerb von Schuhen oder Taschen, wenn ihr Freund wieder auswärts Fußball schaut, anstatt ihr Daheim zum fünfzigsten Mal augenrollend die Abseitsregel zu erklären. Oder wenn er sie nicht versteht, weil sie – dieses irrationale Emotionsbündel – in Rätseln spricht. Kennste, kennste, kennste.

Im Jahr 2015 scheint immer noch nicht geläufig zu sein, dass weder das weibliche noch das männliche Geschlecht eine homogene Masse mit Kollektivbewusstsein ist. Diesem Unwissen wollen Marion Esquian und Ludivine Berthouloux mit She Might Think etwas entgegensetzen: Echte Stellungnahmen von Frauen. Jene sechs Figuren nämlich, die im Spiel eine Wohnung besichtigen, sind allesamt Freundinnen der beiden Entwicklerinnen oder ihnen selbst nachempfunden.

Die Interaktion mit den Charakteren beziehungsweise deren Umfeld ist auf wenige Gegenstände beschränkt, die über das gesamte Appartment verteilt sind – darunter ein Fußball, eine Konsole, Bierflaschen und hochhackige Schuhe. Klickt man diese an, beziehen die Mieterinnen in spe individuell Stellung dazu, schwärmen hier von Strandspaziergängen und Make-Up oder blicken dort despektierlich in die Küche, auf das Diätbuch im Schrank und das schmutzige Geschirr in der Spüle.

Die Reaktionen werden dabei nicht bewertet, nicht explizit als valide oder deplatziert dargestellt. Jede Einschätzung hat ihre Daseinsberechtigung und setzt sich im Gesamtkontext zu einem bunten, bisweilen wirren Puzzle zusammen. Aber genau darum geht es: Menschen sind gelegentlich undurchschaubar, vertreten eigenwillige oder sogar widersprüchliche Ansichten. Nur deshalb ist der Prozess des Kennenlernens immer wieder so interessant, offenbart er doch Stück für Stück eine individuelle Persönlichkeit. Die wiederum manifestiert sich auch in den Bewegungsanimationen der Figuren und der von Person zu Person wechselnden Hintergrundmusik.

Während der Gang durch die Wohnung kurz und unkompliziert ausfällt, ist hier viel Liebe zum Detail erkennbar, durch die dem Spiel mehr Tiefe verliehen wird. Weil sich Geschlechterklischees gerade in unserem Medium relativ beharrlich halten, gelingt es dem „A Game By Its Cover“-Jambeitrag so trotz seiner Einfachheit, überzeugendere Identifikationsfiguren zu präsentieren als manch ein mit jahrelangem Feinschliff aufwartender Open-World-Titel. She Might Think zeigt, wie viel Recherche und Einfühlungsvermögen bewirken können. Und wie viel schöner es in Wirklichkeit ist, sich mit einem Menschen zu befassen, anstatt ihn unter einem Berg von Etiketten zu begraben – und nie wirklich ergründen zu können.

Random Encounters: Striptease

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Als kürzlich ein Saunaclub meine gesamte Nachbarschaft mit riesigen Werbeplakaten volltapezierte und „eine große Auswahl heißer Girls“ versprach, verlieh eine anonyme Person ihrem Ärger darüber Ausdruck, indem sie auf jedes einzelne davon eine Notiz mit folgenden, großgedruckten Worten klebte: „Wir Frauen sind keine Ware“. Doch in der allgemeinen Wahrnehmung werden Sexualdienstleisterinnen allzu häufig mit Objekten gleichgesetzt, das gilt insbesondere für Stripperinnen.

Das 2009 von Stephen-„Increpare“-Lavelle veröffentlichte Spiel Striptease bezieht sich auf diese Problematik und mag nach sechs Jahren sicherlich nicht mehr als neu gelten, an seiner Aktualität aber hat sich nichts geändert. Lavelle bedient sich einer simplen Spielmechanik, um sehr eindringlich Stellung zum Thema zu beziehen, während durch Texte vermittelte Informationen in den Hintergrund treten. In einem kleinen, rechteckigen Fenster ist eine kantige Frau abgebildet, links daneben die gleiche Figur in fragmentierter Form.

Per Tastendruck müssen sämtliche Puzzleteile und mit ihnen jene Frau in vorgegebener Reihenfolge wieder zusammengesetzt werden. Der Fokus liegt dabei auf einzelnen Körperpartien: Der Brust, dem linken Arm, der Hüfte. Fügt man den falschen Teil zusammen, wird man mit Punktabzug bestraft; folgt man hingegen den Vorgaben, entledigt sich die Stripperin mit jedem rekonstruierten Part des Kleidungsstücks, das ihn zuvor bedeckt hat. Am Ende ist sie in beiden Fenstern nackt und vollständig zu sehen. Dennoch erscheint sie nicht mehr als Person, als menschliches Ganzes, sondern als Zusammenstellung von kleinen Teilen, die hinsichtlich ihres erotischen Ausdrucks zu bewerten sind. Sie wird objektifiziert.

Dass nicht die eigentliche Dienstleistung des Strippens, sondern die allzu oft damit verknüpfte Dehumanisierung das Problem ist, legt Striptease nachfolgend dar. Während in den ersten beiden Leveln, untermalt von fiepsender Videospielmusik der titelgebende Akt vollzogen wird, nimmt das Spiel gleich darauf eine drastische Wendung. Denn die Protagonistin wird, vor der Tür des Clubs auf eine Kollegin wartend, von einem Kunden belästigt und schließlich vergewaltigt.

Im dritten und letzten Level gilt es erneut, die nun mit Wunden und Flecken übersähte Frau zusammenzusetzen – diesmal aber ist sie gleich zu Beginn nackt und zieht sich, Teilchen für Teilchen, wieder an, bedeckt sich mit einem dicken Pullover und einer langen Hose. Der ursprünglich zum Aufbau sexueller Spannung genutzte Prozess des Puzzelns erhält damit eine ganz neue Konnotation, und wer vorher in der Rolle des Voyeurs den nackten Körper der jungen Frau genoss, wird nun versuchen, ihn schnellstmöglich zu verdecken. Vielleicht aus Mitleid. Vielleicht, um mit den Spuren der Tat auch die Tat selbst zu vertuschen.

“Wir Frauen sind keine Ware”
. Nach etwa einer Woche waren die Zettel mitsamt der Ursache des Anstoßes wieder verschwunden und an ihre Stelle trat Werbung für Orangensaft, Mobiltelefone, Urlaubsreisen. Ob die Urheberin der Notizen jemandem zum Umdenken bewegt hat, werde ich wohl nie erfahren – ebenso wenig, ob der Italiener, der auf Lavelles Homepage den Kommentar “Hi, we want more girls ;-)” hinterließ, späterhin seinen Fehler bemerkte.