June 2015 archive

Das Opfer ist niemals der Täter: Freshman Year

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Du kannst etwas dafür tun, du kannst etwas dagegen tun”, so lautete der Claim in einem Werbespot der ungarischen Polizei, der im November des vergangenen Jahres auch in die deutschen Schlagzeilen geriet. Darin zu sehen waren drei junge Frauen, die sich auf eine Party vorbereiten – vortrinken, knappe Kleider und High-Heels anziehen – und sich lasziv vor der Kamera inszenieren. Am Ende des Abends sitzt eine von ihnen mit zerissener Kleidung und verschmiertem Make-Up apathisch dreinblickend in einer dunklen Gasse. Die Botschaft: Wer sexuell belästigt oder vergewaltigt wird, ist selbst dafür verantwortlich.

Dieses „victim blaming“ ist weit verbreitet, betrifft nicht nur Vergewaltigungsopfer, sondern vielerorts auch den Schulalltag und mit ihm minderjährige Mädchen, die geschlechtsspezifischen Dresscodes folgen müssen. Dass Situationen wie die oben beschriebene aber in Wirklichkeit oft unumgänglich und nicht auf ein Detail, ein bestimmtes Kleidungsstück zurückzuführen sind, verdeutlicht Nina Freeman in Freshman Year.

Das autobiografisch gefärbte Point’n’click-Adventure gewährt einen Einblick in die Erfahrungen einer Studienanfängerin, die sich eines Abends mit ihrer besten Freundin zum tanzen verabredet. Als letztere jedoch auf sich warten lässt, gerät die junge Frau in Bedrängnis – und das immer wieder, unabhängig davon, für welches Outfit sie sich anfänglich entscheidet oder wie viel sie trinkt. Handlungsspielraum gibt es zwar wenig, aber gerade die Tatsache, dass die wenigen, zum Teil stark differierenden Optionen immer zum gleichen Ergebnis führen, hinterlässt ein Gefühl der Hilflosigkeit und einen bleibenden Eindruck. Durch die mit schwungvollem Strich gemalten Bilder von Laura Knetzger wirken die an sich statischen Szenen lebendig, Stephen Lawrence Clarks Musik unterstreicht subtil die jeweils vorherrschende Atmosphäre.

Freshman Year ist ein extrem kurzes, rohes Spiel und gerade deshalb so eindringlich. Es ist ein wichtiges Statement zu der weit verbreiteten, irrigen Ansicht, sexuelle Gewalt ließe sich verhindern, indem die potenziellen Opfer ihr Verhalten änderten und nicht die Täter. Eine Erkenntnis, zu der hoffentlich auch die ungarischen Polizeibeamten nach der anhaltenden Kritik an ihrer Videobotschaft gelangt sind.

Japanische Einkaufsstraße

 

Gaming In Color: Queerdenker

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Dass sich die Videospielbranche durch eine Hegemonie der Heterosexualität definiert, zeigt sich auch fast sechzig Jahre nach der Erfindung des ersten Videospiels noch. Mit der Öffnung des Mediums für eine größere Zielgruppe und der zunehmenden Verfügbarkeit technischer Mittel für die Spieleentwicklung, wurde diese Basis in jüngster Vergangenheit zwar spürbar rissig — fernab der kleinen, mühsam herausgemeißelten Einbuchtungen aber gibt es nach wie vor nur wenig Rückzugsraum für Menschen, die homo-, bi-, trans- oder intersexuell sind.

Das ist kaum verwunderlich, bediente sich die Industrie doch über Jahrzehnte hinweg eines idealisierten Männerbildes, das körperliche Stärke und Erfolg bei den Frauen ins Zentrum rückte, um den alltagsgebeutelten Nerds vor ihren heimischen Fernsehern durch Ermächtigungsfantasien ein wenig Abwechslung zu bieten. Wie sehr es daran allerdings in den Augen jener mangelt, die sich physisch oder psychisch nicht mit diesen heteronormativen Abziehbildern identifizieren können, zeigt die Dokumentation Gaming In Color. Nach der erfolgreichen Kickstarter-Finanzierung bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht, jedoch zunächst nur im Rahmen von Festivalprogrammen und auf der eigenen Webseite per Stream verfügbar, wurden in dieser Woche neue Vertriebswege erschlossen, unter anderem iTunes, Google Play und die Online-Netzwerke von PlayStation und Xbox.

Deren Schöpfer setzen nun also dazu an, ihrer klaustrophobisch kleinen Nische zu entkommen und möglichst viele Menschen anzusprechen – demnächst auch über Steam. Dass dieser Schritt ein ungemein wichtiger ist, geht aus den filminternen Interviews mit acht Expert_innen aus Spieleentwicklung, -forschung und -journalismus hervor, die – sich allesamt als queer identifizierend – von ihren professionellen Erkenntnissen und persönlichen Spielerfahrungen berichten. Sehr gelungen betonen sie dabei zunächst die Besonderheiten des Mediums, vom intensiven Eintauchen in fremde Welten bis hin zum damit verbundenen Identifikationsprozess mit Menschen und Lebensentwürfen, zu denen man sonst wenig Kontakt hat.

So erzählt George Skleres, Spieleentwickler bei Riot Games, sichtlich begeistert, wie ihm Spiele Sozialisierungsprozesse erleichterten und sogar, durch Strategiespiele wie “Warcraft II” und “Sim City”, einen ersten Einblick in die Welt der Finanzen boten, während Colleen Macklin einen nüchterneren Ansatz wählt und von einer notwendigen Vertrautheit mit spiel- wie gesellschaftsinternen Systemen spricht. Geschickt ist das in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird so deutlich, wie wichtig ein erleichterter Zugang zum Medium ist und zum anderen, dass LGBT-Menschen sich von anderen zunächst nur durch ihre Sexualität unterscheiden und ebenso euphorische Nerds sein können wie heterosexuelle Jungen.

Was zunächst überflüssig, da selbstverständlich erscheinen mag, offenbart seine Notwendigkeit durch einen Einblick in die Darstellung von Homo- und Transsexualität in Spielen: Allzu oft dient die “abweichende” Sexualität als definierendes Merkmal und wird lediglich um mentale Versehrtheit, Sadismus und Brutalität ergänzt. Wie auch oft bei der Darstellung “anderer” Ethnien der Fall, erfahren alle Abweichungen von einem willkürlich gesetzten Status Quo eine negative Repräsentation, die der eigentlichen Zielgruppe zur Rückversicherung der eigenen Normalität dient. Dass vergleichbare Prozesse auch in den “gay communities” ablaufen, ist eine für manche sicherlich überraschende Erkenntnis, auf die Gaming In Color stattdessen seinen Fokus legt.

So ist von einem doppelten “coming out” die Rede, das queere Spieler_innen durchleben müssen: Dem als nicht-heterosexueller Mensch und jenem als Nerd, der sich sowohl innergesellschaftlich als auch in der LGBT-Gemeinschaft potenziell Schmähungen ausgesetzt sieht, da gerade unter homosexuellen Männern ein Körperkult existiert, in dem hagere oder füllige Menschen kaum Platz finden. Die frustrierende Erkenntnis, weder in der einen noch der anderen Szene bedingungslos akzeptiert zu werden, veranlasste Matt Conn dazu, 2012 mit der “GaymerX”-Convention eine Veranstaltung ins Leben zu rufen, die sich explizit an LGBT-Spieler_innen richtet (aber ebenso offen ist für Menschen aller anderen sexuellen Vorlieben und Identitäten). Anders, als in einem Großteil übriger Branchenveranstaltungen, wird die vermeintliche Abweichung hier zur Norm und so ein sicherer Ort für jene geschaffen, die sich andernorts doppelter oder gar dreifacher Diskriminierung ausgesetzt sehen.

Diese Tendenz zu ausgeprägter Toleranz zeigt sich auch in der kritischen Analyse der Zustände außerhalb solcher Zufluchtsorte. Überwiegend sachlich legt etwa Spieleentwicklerin Naomi Clark dar, woher die mangelnde Akzeptanz und bisweilen offene Feindseligkeit der heterosexuellen Spielerschaft rührt: Wer sich plötzlich mit politischen Problemen auseinandersetzen muss, denen er durch das Spielen explizit zu entkommen versucht, reagiert ablehnend. Wer noch nie Kontakt zu einem homo- oder transsexuellen Menschen hatte, kann dessen spezielle Nöte natürlich kaum nachvollziehen. Diese Nüchternheit ist wichtig, weil sie zeigt, dass die Sorgen aller eine Daseinsberechtigung haben und ein offener Dialog möglich ist. So auch auf einer Messe wie der “GaymerX”.

Nun ist dem Film allerdings anzumerken, dass Conn als Produzent ebenso wie Regisseur Philip Jones darum bemüht war, die gemeinsam veranstaltete Convention positiv hervorzuheben. Die letzte Viertelstunde des 62-minütigen Films ist fast ausschließlich eben dieser gewidmet und mutiert schnell zu einem eigenen Hochglanz-Imagefilm, in dem Messebesucher_innen in die Kamera lächeln und herunterbeten dürfen, was an dieser Veranstaltung so einzigartig toll ist. Angesichts ihrer Bedeutung für die US-amerikanische LGBT-Gemeinschaft und der offensichtlich authentischen Freude, kann man das aber durchaus verzeihen, zumal der positive Ausblick als Kontrast zu den zuvor deprimierenden Einsichten wohl als notwendig erachtet wurde.

Schade ist nur, dass es anderen, wichtigen Themen hierdurch an Präsenz fehlt. Dass der Film recht deutlich von einer männlich-homosexuellen Perspektive dominiert wird, wäre zu verschmerzen, wenn nicht andere Sichtweisen hierdurch schlicht unter den Tisch fallen würden. Zwar sind unter den Interviewpartner_innen zwei lesbische Frauen, deren spezifische Erfahrungen aber werden kaum thematisiert. Das ist insbesondere deshalb problematisch, weil die an sich gelungene Einbindung von Youtube-Kommentaren den Eindruck erzeugt, weibliche Homosexualität würde per se offener und positiver aufgenommen, als männliche. Warum das so sein könnte, bleibt jedoch unhinterfragt.

Dabei gelten lesbische Romanzen gemeinhin nur dann als tolerierbar, wenn man sie im Sinne männlicher Heterosexualität ästhetisch inszenieren kann, wie Pornofilme und Videos über die heißesten Videospiellesben drastisch veranschaulichen. Gänzlich unsichtbar bleiben außerdem bisexuelle Menschen, die auch innergesellschaftlich oft als nonexistent deklariert werden und sich in der LGBT-Gemeinschaft einer speziellen Diskriminierung ausgesetzt sehen, weil sie vielfach als Hochstapler_innen oder unentschlossen gelten.

Dass in einem einstündigen Film nicht jedes Detail ausgeführt werden kann, ist klar. Warum jedoch eine Produktion, die sich der Sexualitäts- und Identitätsvielfalt verschrieben hat, ganze Themenkomplexe derart vernachlässigt, erschließt sich nicht. So bietet Gaming In Color einen sehr gelungenen Einblick in die Probleme vor allem homosexueller Menschen, kann jedoch seinem eigenen Anspruch nicht genügen, sich der kompletten Gender-Farbpalette zu bedienen. Auch in ihrer Inszenierung überzeugt die Dokumentation nicht immer: Die während der Interviews eingeblendeten, animierten Schaubilder erscheinen als typografische Scheußlichkeiten auf kariertem Untergrund und oftmals wenig aussagekräftig.

Falls sie es doch sind, wird ihr Informationsgehalt von dem der Interview-O-Töne überlagert, sodass es nahezu unmöglich ist, alle relevanten Aussagen gleichzeitig zu erfassen, wenn man nicht zwischendurch pausiert oder zurückspult. Ebenso lästig ist das im Hintergrund vor sich hinplänkelnde Ambient-Gedudel, das sich ewig wiederholt und durch seine auch lautstärkespezifische Indezenz häufig in den Vordergrund drängt.

Doch trotz seiner schwankenden Qualität ist Gaming In Color ein wichtiges und interessantes Werk, weil es einen umfangreichen und zugleich persönlichen Einblick in die Lebenswirklichkeit von Spieler_innen fernab der in Zement gegossenen Triple-A-Zielgruppe bietet. Es sei ihm daher von Herzen gewünscht, dass es sich durch den Vertrieb auf allgemein zugänglichen Plattformen ein größeres Publikum erschließen wird. Für die dringend notwendige Diversifizierung der Darstellung homosexueller Menschen im Spiel wäre dies ein wichtiger Schritt.

Sex in Videospielen: Eine Kulturgeschichte

Howdoyoudoit

Sex ist ein integraler Bestandteil vieler Beziehungen, dennoch fällt gerade in Spielen der Umgang damit oft hochgradig verschämt aus. Die “Sims” verkriechen sich zum gemeinsamen “WooHoo” unter ihren Bettdecken, zaghaft inszenierte Sexszenen in Sci-Fi-Szenarien gelten als skandalös. Warum bloß?

Sex ist überall

Die meisten Menschen haben zeit ihres Lebens immer wieder mal Sex. Sex ist überall präsent: auf Litfaßsäulen, Leinwänden und Youtube, in Musikvideos und Kunstmuseen, in Popsongs und Buchläden und natürlich im Fernsehen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wirft man allerdings einen Blick auf die Videospielhistorie, fällt schnell auf, dass Sex darin eine allenfalls untergeordnete Rolle spielt und, wenn überhaupt, im Rahmen von Skandalen thematisiert wird.

Dabei hält er schon früh Einzug in das Medium. Als Pionier des digitalen Geschlechtsverkehrs gilt das 1981 veröffentlichte “Softporn Adventure” der Firma Sierra On-Line, bekannt auch wegen seines Covers, für das Entwicklerkoryphäe Roberta Williams mit zwei ihrer Kolleginnen nackt in einen Whirlpool steigt. Wenngleich relativ bieder, ist das Spiel zu diesem Zeitpunkt ein Novum. Ein glückloser Mann begibt sich darin auf die Suche nach einer Partnerin, mit der er den Beischlaf vollziehen kann – ein Plot, der später auch als Blaupause für die berühmte “Leisure Suit Larry“-Reihe herhält. Das allererste Mal zieht dessen Protagonist Larry Laffer 1987 aus, um seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Das Spiel mit dem mäßig attraktiven Schwerenöter im weißen Polyesteranzug bietet damals einen zwar oberflächlichen, aber immerhin humorvollen Zugang zum Thema Sexualität, der aufgrund seiner Leichtigkeit auch verklemmtere Menschen anspricht.

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Dieser Artikel ist ursprünglich in der WASD #7 erschienen.